Podiumsdiskussion „Schalten wir mit KI den Turbo in der Biodiversitätsforschung ein?“
Die Diskussion im Anschluss der Vorträge war angeregt und das Publikum konnte sich beteiligen. Auf dem Podium (v.l.n.r.) waren Dr. Ralph S. Peters, Torsten Demuth, Dr. Ameli Kirse, Prof. Dr. Chris Biemann und Moderatorin Muschda Sherzada. © Roman Schwer
„Ohne KI würden wir 1.500 Jahre brauchen, um alle Arten zu entdecken und zu kennen“, rechnete LIB-Insektenforscher Ralph Peters hoch. Dass KI auf verschiedenen Ebenen helfen kann, die Natur besser zu verstehen, war Konsens auf der Veranstaltung „Schalten wir mit Künstlicher Intelligenz – KI – den Turbo in der Biodiversitätsforschung ein?“ Die Diskussion im Rahmen der „Hamburger Horizonte“ am Donnerstag im Museum der Natur Hamburg kreiste um Möglichkeiten und Grenzen dessen, was KI in der Biodiversitätsforschung leisten kann.
„KI kann das Normale, das Häufige erkennen, aber zu erkennen, was neu ist – und dabei nicht zu wissen, was das Neue sein könnte – ist schwierig“, beschrieb Podiumsteilnehmer Chris Biemann, Direktor des Hub of Computing & Data Science der Universität Hamburg, das Grundproblem in der taxonomischen Arterkennung. Deshalb sieht der LIB-Taxonom Ralph Peters KI in der Artbeschreibung eher in der Assistenz und die menschlichen Expertinnen und Experten in der starken Rolle, denn: „Der Anspruch muss sein, jede Art auch in der Komplexität zu kennen.“ Er beschrieb, wie wir täglich viele Tier- und Pflanzenarten verlieren, bevor wir sie kennen gelernt haben. Doch ohne tiefgreifendes Wissen über Arten und ihre Bedeutung fehle die Grundlage für Schutzmaßnahmen.
In der Anwendung, im Monitoring auf Agrarflächen, in Wald und Wiese hingegen sah LIB-Wissenschaftlerin Ameli Kirse viele Vorteile. So biete KI etwa Möglichkeiten für mehr Effizienz, ein höheres Tempo, Kostenersparnis und die Formulierung neuer Fragestellungen. Die Suche nach Lösungen für Artenschutz in der Landwirtschaft würde daher durch KI deutlich unterstützt.
Moderatorin Muschda Sherzada brachte auch die Perspektiven von LIB-Zentrumsleiterin Mariella Herberstein und Bürgerwissenschaftler Torsten Demuth mit in die Diskussion ein. „Ohne KI können wir wichtige Informationen der Sammlungen nicht nutzen“, betonte Mariella Herberstein mit Blick auf 16 Millionen Sammlungsobjekte im LIB.
Inwiefern KI der Biodiversitätsforschung einen Schub geben kann, fassen die Podiumsteilnehmer in Statements zusammen:
Prof. Dr. Mariella Herberstein, Leitung Zentrum für Taxonomie und Morphologie im LIB
„Um die Biodiversität wirklich erfassen zu können, müssen wir so viele unterschiedliche und auch reiche Daten verknüpfen, dass wir ohne Unterstützung einer künstlichen Intelligenz viel zu langsam durch diesen Datenwald durchkommen. Die Zeit läuft, und wenn wir jetzt Tempo in die Biodiversitätsforschung bringen müssen, dann können wir nur mit einer Hilfe vorankommen, die zum Beispiel künstliche Intelligenz bietet.“
Prof. Dr. Chris Biemann, Direktor des Hub of Computing & Data Science and Informatikprofessor für Sprachtechnologie an der Universität Hamburg
„KI kann Biodiversitätsforschung in allen Bereichen unterstützen. Das fängt bei der Erhebung der Daten an, zum Beispiel mit automatischen Fotofallen zum Zählen von Insekten. Bei der Analyse können KI-Modelle helfen, Muster und Trends schneller zu erkennen und auszuwerten und die Daten schneller zu organisieren. Und schließlich kann KI auch genutzt werden, um zoologische Sammlungen für Laien besser zugänglich zu machen, um die Bedeutung der Biodiversität in die Breite der Gesellschaft zu tragen.“
Dr. Ralph Peters, Leiter Sektion Hymenoptera im LIB
„Ein Großteil der Arten der Erde ist noch unbekannt. KI hilft, die Mammutaufgabe Biodiversitätsentdeckung zu erfüllen. KI ist dabei für uns ein Assistenzsystem, das nur im Zusammenspiel mit Menschen funktioniert, die die KI und ihre Ergebnisse betreuen, überprüfen und weiterführen. Durch die Übernahme repetitiver und formalisierter Aufgaben, die für Menschen eher ermüdend sind, wird KI die Biodiversitätsentdeckung nicht nur schneller, sondern auch spaßiger machen. Schnelle Biodiversitätsentdeckung ist angesichts der massiven Biodiversitätsverluste essentiell.“
Dr. Ameli Kirse, wissenschaftliche Mitarbeiterin im AMMOD/BioMonitor4CAP Projekt im LIB
„Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die Biodiversitätsforschung erheblich zu fördern und zu beschleunigen. Sie ermöglicht durch die automatisierte Analyse großer Datenmengen eine schnelle Identifikation von Arten mittels Bild- und Tonanalysen und erkennt Muster in ökologischen Daten, was eine zeitnahe Entscheidungsunterstützung für den Schutz gefährdeter Ökosysteme erlaubt. Darüber hinaus trägt KI zur effizienteren Nutzung von Ressourcen in Feldstudien bei. Eine wesentliche Herausforderung bleibt jedoch die Genauigkeit der Ergebnisse.“
Torsten Demuth, Bürgerwissenschaftler, Verein Neuntöter e. V.
„Gerade bei der Bild- und Mustererkennung ist noch großes Potenzial, die Arbeit mit Sammlungsmaterial zu beschleunigen. Die aktuell frei zugänglichen Modelle sind zwar teils beeindruckend, ernüchtern aber auch regelmäßig. Im Bereich der Feldarbeit sehe ich mittelfristig kaum praktischen Nutzen, hier werden aktuell nur kleine Teilbereiche abgedeckt. Insgesamt täuschen die schnellen Erfolge über noch offene Baustellen hinweg, zudem sind viele Fragen bezüglich der politischen Weichenstellungen offen.“
Mit der Diskussionsveranstaltung hat die diesjährige Hamburger Insektenwoche ihren Auftakt genommen. Weitere Themen zum Biodiversitätsschutz in der Hamburger Insektenwoche: www.insektenwoche.de