Sie sind seit zehn Jahren Museumsaufsicht am LIB. Wie sind Sie damals hier gelandet?
Ganz ehrlich: Ich brauchte einen Neuanfang. Mein vorheriger Job als Ladendetektiv in Harburg hat mich mit der Zeit richtig runtergezogen. Ich war oft mit schwierigen Situationen konfrontiert, und das hat sich auf meine Stimmung ausgewirkt – so sehr, dass es meiner Frau und meiner Familie aufgefallen ist. Sie haben mich irgendwann vorsichtig darauf hingewiesen, dass ich mir vielleicht etwas suchen sollte, das nicht so viel Negatives mit sich bringt. Als dann über eine Freundin meiner Schwiegermutter die Info kam, dass im Museum eine Stelle frei wird, habe ich mich spontan beworben – obwohl ich vorher keinen Bezug zur Museumswelt hatte. Rückblickend war das die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Das Museum hat mir beruflich und menschlich einen ganz neuen Raum eröffnet.
Was hat sich seitdem für Sie verändert – sowohl im Museum als auch bei Ihnen selbst?
Unheimlich viel. Als ich angefangen habe, hatten wir an einem ganzen Wochenende vielleicht 150 Besucherinnen und Besucher. Das war eher ruhig. Heute haben wir an schlechten Wettertagen 1.600 bis 1.800 Menschen allein an einem Tag am Wochenende. Man spürt einfach, wie das Museum über die Jahre an Bedeutung und Sichtbarkeit gewonnen hat. Es gibt mehr Angebote, mehr Führungen, mehr Programm – und ein viel breiteres Publikum.
Und ich habe mich parallel dazu verändert. Vor zehn Jahren war mir vieles egal, was heute selbstverständlich für mich ist. Nachhaltigkeit, bewusster Umgang mit Ressourcen, ein anderer Blick auf Tiere und Naturphänomene – all das kam durch meine Arbeit hier. Früher hätte ich ein Wespennest im Garten kurzerhand entfernt. Heute hänge ich lieber ein „Umleitungsschild“ für meine Kinder auf und lasse die Natur machen. Das Museum hat mich definitiv zu einem achtsameren Menschen gemacht.
Gibt es Naturfakten, die Sie besonders beeindruckt oder überrascht haben?
Oh ja, ständig! Das ist das Schöne hier: Man lernt nie aus. Ein Lieblingsmoment war, als ich erfuhr, dass die Rentiere auf Weihnachtsmärkten eigentlich alles Weibchen sein müssten. Männliche Rentiere werfen ihr Geweih im Winter ab – das heißt, all die prächtigen Geweihträger auf Werbeplakaten? Alles Mädels. Da fühlte ich mich wirklich falsch informiert über all die Jahre. Dann der Nebelparder: Als ich erfahren habe, dass er kopfüber jagen kann, indem er sich unter Äste hängt und sich von unten auf seine Beute stürzt – total irre. Solche Fakten bleiben hängen. Sie machen den Job lebendig.
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Wie beginnt der Arbeitstag – und wie läuft er typischerweise ab?
Morgens starten wir mit einem Rundgang: Stehen alle Präparate richtig? Ist etwas beschädigt? Passt die Beschilderung? Danach schauen wir in die Tagesplanung: Welche Führungen kommen? Welche Gruppen? Was braucht Unterstützung? Tagsüber geht es dann vor allem um Service. Die Gäste sollen sich gut aufgehoben fühlen – egal ob sie eine schnelle Info brauchen, Orientierung, einen Hinweis oder einfach jemanden, der ihnen aufmerksam zuhört. Es gibt selten unvorhersehbare Situationen, aber kleine „Malheure“ gehören dazu: ein Kind, dem schlecht wird, ein Sturz, Eltern, die vor Aufregung kaum noch handlungsfähig sind. Dann teilen wir uns auf: Einer beruhigt das Kind, die anderen die Eltern. Da merkt man, wie wichtig Erfahrung und Ruhe sind.
Haben Sie ein Lieblingsexponat – oder eines, zu dem Sie besonders häufig Fragen bekommen?
Das wechselt tatsächlich, je nachdem, welches Tier mich zuletzt überrascht hat.
Eine Zeit lang war es der Nebelparder, dann der Bartgeier. Im Moment fasziniert mich besonders seine extreme Magensäure, die Knochen in kürzester Zeit zersetzt.
Ein Dauerbrenner ist aber das Bären-Duo: Kodiakbär und Grizzly. Viele Besuchende sind überzeugt, dass wir die Schilder vertauscht haben, weil der Kodiakbär normalerweise größer ist. Bei uns ist es schlicht so, dass der Grizzly größer war, den wir bekommen konnten. Und die Leute stellen die Schilder gern selbstständig um – teilweise kommen sie sogar stolz zu uns, um zu sagen: „Wir haben das mal korrigiert.“ Das ist immer ein guter Gesprächseinstieg.
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Gibt es Begegnungen, die Ihnen besonders ans Herz gewachsen sind?
Viele. Eine besonders rührende war ein kleiner Junge, der regelmäßig kam und uns selbstgefundene Knochen vorbeibrachte. Er war unglaublich wissbegierig. Manchmal war es schwierig zu bestimmen, was er da gefunden hatte – Säugetierknochen, Vogelknochen oder einfach Schlachtabfall. Aber seine Begeisterung war so ehrlich und ansteckend, dass diese Besuche für mich echte Highlights waren. Und dann haben wir unsere „Stammgäste“, besonders viele Zeichnerinnen und Zeichner. Ein Graffiti-Künstler, der hier oft Tiere abzeichnet, hat mich einmal zufällig in der HafenCity wiedererkannt – er stand gerade vor einer frisch besprühten Wand mit Tieren. Solche Augenblicke verbindet man nicht unbedingt mit dem Museumsalltag, aber sie zeigen, welche Wirkung dieser Ort hat.
Wie ist die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Bereichen?
Wertschätzend und absolut auf Augenhöhe. Das ist mir wichtig. Ich habe nie das Gefühl, dass jemand auf uns von oben herabschaut, nur weil wir nicht in der Wissenschaft oder Verwaltung sitzen. Am LIB wird generell respektvoll miteinander gearbeitet. Und ich kann meine Erfahrung einbringen – gerade bei Sicherheit, Besucherströmen oder Notfällen. Nach zehn Jahren habe ich so ziemlich jede Situation schon einmal erlebt. Dieses Wissen teilen wir im Team, und davon profitieren alle.
Wie hat sich Ihr privater Umgang mit Natur verändert?
Ich verbringe mehr Zeit draußen, bewusster und neugieriger. Trekkingtouren im Sachsenwald, Übernachtungen im Zelt mit meinen Kindern – das ist inzwischen ein wichtiger Teil meines Lebens. Wir lauschen nachts den Geräuschen im Wald, beobachten Tiere, entdecken Spuren. Mein Sohn ist mittlerweile in der Pubertät, da sind andere Dinge wichtiger, aber meine Kleine ist immer noch Feuer und Flamme. Draußen sein erdet mich. Es ist ein Gegenpol zum lauten Stadtalltag und tut mir gut.
In Hamburg steht ein neues Naturkundemuseum bevor. Wie blicken Sie darauf?
Mit Vorfreude. Richtig großer Vorfreude. Anfangs war ich skeptisch – Veränderung macht ja auch etwas mit einem. Aber inzwischen sehe ich, wie viel Potenzial in einem modernen Neubau steckt. Hamburg ist eine Weltstadt, und sie braucht ein Naturkundemuseum, das diesem Anspruch gerecht wird. Und ich freue mich darauf, meine Erfahrung einzubringen. Besucherfluss, Orientierungssysteme, die Gestaltung von Eingangsbereichen, Sanitäranlagen, Wegeführung, Gruppenmanagement – das sind alles Dinge, bei denen wir aus den vergangenen Jahren gelernt haben. In einem neuen Museum können wir das von Anfang an richtig denken.
Und wo sehen Sie sich selbst in zehn Jahren?
Im neuen Museum – mit mehr Verantwortung. Ich liebe den Besucherbereich, das Arbeiten nah an den Menschen. Aber ich sehe mich in einer Position, in der ich stärker mitgestalten kann, wie ein Museum funktioniert. Ich fühle mich hier beruflich angekommen. Das hatte ich vorher nie. Und ich möchte diesen Weg weitergehen.
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