Woher stammen menschliche Überreste in Schulsammlungen?

Zum Projektstart begutachteten die Schülerinnen und Schüler der Sachsenwaldschule in Reinbek das echte Skelett gemeinsam mit der Forensikerin PD Dr. Eilin Jopp-van Well (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf). © UHH/Feuerböther

 

In zahlreichen Hamburger Schulsammlungen finden sich menschliche Überreste wie Skelette aus echten Knochen. Nur selten ist ihre Herkunft dokumentiert. Bei dem Projekt „HUMANS“ der Universität Hamburg, dem LIB und weiterer Beteiligter, forschen Schülerinnen und Schüler mit wissenschaftlicher Unterstützung selbst und erarbeiten Möglichkeiten zum künftigen Umgang.

Mit ausgebreiteten Flügeln und wachen Augen hängt ein ausgestopfter Uhu über der Eingangstür und blickt auf den Unterrichtsraum hinab. Er beobachtet an diesem Tag nicht nur die zehn Schülerinnen und Schüler der 10. Klasse sowie ihren Lehrer Markus Ibold. Denn mit Dr. Antje Nagel, PD Dr. Eilin Jopp-van Well und Daniel Bein sind ungewöhnliche Gäste im Biologieraum der Sachsenwaldschule in Reinbek.

Alle Anwesenden stehen im Kreis und betrachten ein Skelett in ihrer Mitte: „Wieso sieht das Brustbein so aus“, fragt eine Schülerin. Eilin Jopp-van Well erklärt: „Das, was hier zwischen den Rippen und dem Brustbein zu sehen ist, ist knorpeliges Gewebe. Für die Atmung ist es bei lebenden Menschen beweglich. Bei der Herstellung des Präparats wurde das knorpelige Gewebe nach dem Tod konserviert und wird dadurch hart“.

Eilin Jopp-van Well arbeitet am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im Institut für Rechtsmedizin als Forensische Anthropologin und Archäologin. In ihrem Beruf hilft sie unter anderem der Polizei bei Ermittlungen, wenn es um Alter oder Herkunft menschlicher Überreste sowie Spuren möglicher Verletzungen geht. An diesem Vormittag beantwortet sie Fragen der Schülerinnen und Schüler. Eigentlich werden für den Biologieunterricht nur noch Plastikskelette genutzt, doch das Skelett vor ihnen ist echt.

„HUMANS“: Untersuchung der eigenen Schulsammlung
Die Unterrichtsstunde ist der Startschuss für das Citizen-Science-Projekt „HUMANS“. Die interdisziplinäre Kooperation ist ein innovativer Weg, wissenschaftliche Expertise aus dem Museum in die Gesellschaft zu bringen. Dabei erarbeiten Schülerinnen und Schüler, unterstützt von Forscherinnen und Forschern, Lösungsansätze zum Umgang mit sogenannten Human Remains, also menschlichen Überresten.

Es ist ein gemeinsames Projekt der Universität Hamburg mit dem UKE, dem Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels in Hamburg (LIB), dem Hamburger Schulmuseum und dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung und wird für ein Jahr von der Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke im Rahmen der Landesinnovationsförderung „Science for Society“ gefördert. Gegenstand sind konkrete Beispiele in Sammlungen mehrerer Schulen aus Hamburg und Umgebung.

Herkunft häufig unklar
Das inzwischen wenig genutzte Unterrichtsobjekt der Sachsenwaldschule ist nicht mehr ganz vollständig: Der rechte Arm fehlt, der linke hängt falsch herum von der Schulter herab. Die Klasse möchte mehr über die menschlichen Überreste aus ihrer Schulsammlung erfahren: „Woran erkennt man, ob es ein Mann oder eine Frau ist?“, wollen sie von der Forensikerin wissen. Eilin Jopp-van Well deutet zunächst auf den Hüftbereich, dann auf den Kopf des Skeletts: „Hinweise liefern spezielle geschlechtstypische Merkmale am Becken und am Schädel. Das Becken ist bei Männern und Frauen unterschiedlich gebaut.“, sagt sie und erklärt weiter: „Ein dreiecksförmiges Kinn und eine fliehende Stirn deuten zum Beispiel auf einen Mann hin. Der Mensch, der hier vor uns steht, war also ein Mann“, sagt Jopp-van Well.

Nach Recherchen von Daniel Bein, der die Abteilung „Bildung und Vermittlung“ des LIB leitet, befinden sich in zahlreichen Schulen in Hamburg und Umgebung menschliche Überreste. Sie waren in der Vergangenheit ein gängiges Lehrmittel und befinden sich deshalb in vielen historisch gewachsenen Schulsammlungen. Doch in den meisten Fällen fehlt jegliche Dokumentation über die Herkunft der Überreste oder Hinweise darauf, wer die Person war. Eine erste historische Einordnung ist dennoch möglich: „Soweit wir das bisher sagen können, stammen sie wohl eher aus der Nachkriegszeit, überwiegend aus den 1960er- und 1970er- Jahren“, so der Museumspädagoge.

Auch in der Sachsenwaldschule fehlen nähere Informationen zu dem Skelett. Die unverletzten Knochen deuten darauf hin, dass der Mann kein Opfer eines Tötungsdeliktes durch Gewalt wurde, doch für weitere Erkenntnisse sind mehr Untersuchungen nötig. So könnten DNA-Tests oder Stabilisotopen-Analysen beispielweise genauere Hinweise zur Identität, Ernährung und zur Herkunft liefern. Auch die Art und Weise, wie das Skelett präparatorisch hergestellt wurde, bietet einen zeitlichen Anhaltspunkt.

Schwere Entscheidung: Wie geht man richtig mit menschlichen Überresten um?
Was genau untersucht wird, legen im Projekt „HUMANS“ die Schülerinnen und Schüler eigenständig fest. Sie entscheiden, ob sie zu den Remains zum Beispiel in den Bereichen Geschichte, Religion, Philosophie, Ethik, Forensik oder Soziologie forschen wollen. Dabei lernen sie durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Institutionen wissenschaftliches Arbeiten kennen. Für ihre Recherchen nutzen sie unter anderem Archivmaterialien bekannter Lehrmittelhersteller.

Die Schülerinnen und Schüler in der Sachsenwaldschule stellen sich unter anderem die Frage, ob dieser Mensch damit einverstanden war, „Schulskelett“ zu werden, etwa durch die Spende seines Körpers nach dem Tod. Sie diskutieren auch, ob überhaupt weitere Analysen stattfinden sollen. Einige empfinden sie als anmaßend: „Ich finde es respektlos, jetzt noch an den Knochen ‚herumzuwerkeln‘. Ich wäre dafür, dass das Skelett einfach begraben wird.“, sagt eine der Schülerinnen. Bei anderen überwiegt die Neugier, sie wollen gern wissen, woher das Skelett kommt, wo und wie der Mann gelebt hat: „Irgendwann muss man es gut sein lassen mit dem Skelett, aber ich würde eigentlich trotzdem gerne wissen, wo es herkommt“, sagt eine andere Schülerin.

Einfach ist die Entscheidung nicht, macht Daniel Bein deutlich: „Um einen respektvollen Umgang mit den Überresten gewährleisten zu können, müssen wir möglichst viel über den Mann herausfinden. Wenn wir wissen, wo und wann er gelebt hat oder welcher Religion er möglicherweise zugewandt war, können wir eher Rückschlüsse auf seinen Willen ziehen.“

Leitfaden soll Schulen zukünftig unterstützen
„Eine festgelegte Vorgehensweise oder Empfehlungen für den Umgang mit menschlichen Überresten in Schulsammlungen gibt es bisher noch nicht“, sagt Dr. Antje Nagel, Projektkoordinatorin und Leiterin des Unimuseums der Universität Hamburg. Sie betont: „Es ist immer eine Einzelfallentscheidung. Dabei muss man berücksichtigen, dass die Themen Sterben, Tod und der Umgang mit dem toten Körper immer einem historischen Wandel unterworfen sind.“

Im Rahmen des Projekts soll durch die Schülerinnen und Schüler ein Leitfaden entwickelt werden, der Schulen bundesweit beim Umgang mit Human Remains helfen soll. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bieten im Anschluss außerdem Workshops für Lehrerinnen und Lehrer an.

In der Sachsenwaldschule verabschieden sich die Schülerinnen und Schüler inzwischen in die Pause. Für das Skelett geht es erstmal zurück in den Schrank der Schulsammlung ­– dank Eilin Jopp-van Well nun aber wenigstens mit einem korrekt angebrachten linken Arm.

 

Der Artikel ist dem Newsroom der Universität Hamburg entnommen: Newsroom : Universität Hamburg (uni-hamburg.de)

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