Unser Schatz des Monats: der berüchtigte Riesenborstenwurm

Ein Riesenborstenwurm aus der LIB-Sammlung in Hamburg – hier außerhalb seines Glasgefäß. © Jenna Moore

 

Der räuberische Riesenborstenwurm ist einer der berühmtesten Ringelwürmer. Mit seinen furchterregenden, zangenartigen Kiefern fängt er ahnungslose Fische und zieht sie in den Sand. Videos von diesem Ereignis sind im Netz sehr beliebt und dennoch wissen wir bislang nicht genau: Wie haben sich diese faszinierenden Kiefer bei dieser Art und ihren Verwandten entwickelt?

Sollte die schiere Größe des Riesenborstenwurms Eunice aphroditois dazu führen, dass der kommende Strandurlaub in Frage gestellt wird, können wir beruhigen: Sie leben nur in flachen Riffhabitaten im Indopazifik. Riesenborstenwürmer sind Lauerjäger, die sich die meiste Zeit in Hohlräumen im Sediment aufhalten. Um zu jagen, halten sie ihren Kiefer an der Oberfläche offen und warten darauf, dass ihre Beute vorbei schwimmt. Dann stürzt sich der Wurm blitzschnell auf seine Beute, packt sie mit seinen hakenartigen Kiefern und verschwindet in seiner Höhle, um seinen Snack zu genießen. Wenn die Würmer nicht auf der Jagd sind, klappen sie ihre Kiefer in ihrem Rachen zusammen. Ihre Kiefer sind ein Wunderwerk der Evolution – sie sind komplex und bestehen aus mehreren gehärteten haken- und plattenartigen Elementen, die zusammenwirken, um ihre Nahrung zu fangen und zu verschlingen.

Der Riesenborstenwurm ist nur eine von mehr als 1.000 Arten von Würmern der Ringelwurm-Ordnung Eunicida. Ihre Verwandten sind sehr unterschiedlich groß, von wenigen Millimetern bis hin zum riesigen Riesenborstenwurm, der mehr als einen Meter lang werden kann – auch ihre Kiefer, Ernährungs- und Lebensweisen unterscheiden sich voneinander. Einige sind winzige Parasiten, andere ernähren sich hauptsächlich von Pflanzen, und wieder andere ernähren sich von Bakterien und anderen winzigen Organismen. Während Körperfossilien von weichen Ringelwürmern selten sind, sind Fossilien ihrer harten Kieferstrukturen (Scolecodonten genannt) häufig, und einige Fossilien von Eunicida-Kiefern sind mehr als 480 Millionen Jahre alt.

Die Form der Eunicida-Kiefer wird von Forschenden oft zur Unterscheidung von Arten herangezogen, aber es gibt noch viel darüber zu lernen, wie diese bemerkenswerten Kiefer tatsächlich funktionieren – oder wie sich die verschiedenen Kiefertypen entwickelt haben. Dr. Jenna Moore, Leiterin der Sektion Annelida (Ringelwürmer) am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) in Hamburg, untersucht gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt die Entwicklung und Funktion der Kiefer dieser faszinierenden Gruppe von Würmern, um ihre Beziehungen und ökologischen Funktionen in Vergangenheit und Gegenwart besser zu verstehen.

 

So wird unser Schatz in der Sammlung gelagert: in Alkohol präpariert. © Jenna Moore

 

Auffällig bei dem mittleren Exemplar von Eunice aphroditois unserer Abbildung ist ein sichtbarer Schnitt unter der Mundregion – Zeichen einer Sezierung durch einen früheren Forschenden. Bis vor kurzem war dies die einzige Möglichkeit, die Kiefer der Würmer zu studieren, nun bilden Jenna Moore sowie ihre Kolleginnen und Kollegen Museumsexemplare mithilfe von microCT-Scans ab, um digitale 3D-Rekonstruktionen von Kieferelementen und Muskulatur zu erstellen. Diese Bilder sind wichtig, um die Mechanik der Kieferbewegungen und ihre Funktion zu verstehen – der nächste Schritt im Forschungsprojekt. Die Verknüpfung von Kieferform und Funktion könnte neue Erkenntnisse über die ökologische Rolle ausgestorbener Eunicida liefern, die nur aus ihren versteinerten Kiefern bekannt sind.

Die Annelida-Sammlung des LIB ist voll von Schätzen dieser Art. Sie beherbergt mehr als 100.000 Objekte aus der ganzen Welt – mit einem besonderen Schwerpunkt auf Tiefsee- und antarktische Arten – von denen einige bereits im 19. Jahrhundert gesammelt wurden. „Die Sammlung ist ideal, um die Evolution des Riesenborstenwurms und seiner Verwandten zu erforschen. Viele weitere Geheimnisse warten in ihren Regalen darauf, entdeckt zu werden“, sagt Jenna Moore.

So sieht unser Schatz des Monats in freier Wildbahn aus:
Quelle: Smithsonian Channel, youtube.com

 

Kontakt:
Dr. Jenna Moore
Sektionsleiterin Annelida
Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Telefon: +49 40 238 317-604
E-Mail: j.moore@leibniz-lib.de

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