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25.09.2025

Elbmündung im Wandel: Dramatische Veränderungen in der Fischfauna innerhalb der letzten 40 Jahre

Auf der Elbe unterwegs: Ein Großteil der Probennahmen erfolgte mit dem Hamenkutter „Ostetal“.
Forschung Museum der Natur Hamburg Pressemitteilung

Eine fast vier Jahrzehnte umfassende Studie zeichnet ein klares Bild vom Wandel der Fischfauna in der Elbmündung: Forschende des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB) haben in Kooperation mit der Universität Hamburg Daten von 1984 bis 2022 ausgewertet. LIB-Doktorand Jesse Theilen untersuchte, wie Umweltfaktoren im Verlauf von vier Jahrzehnten die Bestände wichtiger Fischarten beeinflussten. Die Ergebnisse seiner Arbeit sind jüngst im Fachmagazin Estuarine, Coastal and Shelf Science erschienen.

Von fünf Stationen entlang des Salzgehaltsgradienten der Elbe wurden vierteljährlich standardisierte Befischungsdaten zur Artenzusammensetzung, Häufigkeit der Fische und zu relevanten Umweltfaktoren erhoben – jeweils in allen vier Jahreszeiten, da sich die Fischgemeinschaft saisonal verändert. Mithilfe statistischer Verfahren ließen sich zeitliche Trends sowie Zusammenhänge zwischen Umweltfaktoren und der Zusammensetzung der Fischfauna ermitteln.

Erholungsphase und drastischer Einbruch
Die Ergebnisse zeigen zunächst eine Erholungsphase von den 1980er-Jahren bis etwa 2010. Damals verbesserte sich die Wasserqualität, was zu einem Anstieg der Bestände führte, insbesondere beim Stint (Osmerus eperlanus). Seit 2010 jedoch kam es zu einem dramatischen Rückgang: Der gesamte Fischbestand sank um über 90 %. Neben dem Stint waren auch Arten wie Finte (Alosa fallax), Flunder (Platichthys flesus) und Kaulbarsch (Gymnocephalus cernua) stark betroffen.

Alle Lebensstadien sind in Mitleidenschaft gezogen: bei vielen Arten verringerte sich das Aufkommen von Larven und Jungfischen. Ursachen sind unter anderem die Verschlickung wichtiger Aufwuchsgebiete. Bei Jungfischen des Zanders (Sander lucioperca) und subadulten sowie adulten Kaulbarschen (Gymnocephalus cernua) wurde ein verringertes Wachstum beobachtet.

Im gleichen Zeitraum nahmen einzelne Meeresfische wie Hering und Wittling zu. Dies weist auf eine strukturelle Verschiebung der Fischfauna hin, wie sie für makrotidale Ästuare – also in Flussmündungsgebieten, die durch einen hohen Tidenhub geprägt sind – typisch ist.

Umweltfaktoren als treibende Kräfte
„Die langfristigen Veränderungen in den Fischbeständen der Elbmündung lassen sich eng mit verschiedenen Umweltfaktoren verknüpfen. Während in den 1990er-Jahren eine deutliche Verbesserung der Wasserqualität die Erholung vieler Arten begünstigte, haben sich die Bedingungen in den letzten Jahren klar verschlechtert“, fasst Jesse Theilen zusammen.

Als wesentlicher Faktor gilt die Zunahme von Schwebstoffen infolge von Fahrwasseranpassungen und Unterhaltungsbaggerungen. Sedimentierende Schwebstoffe haben wichtige Aufwuchsgebiete verschlickt, zudem erschwert die hohe Trübung den Nahrungserwerb. Auch verringerte Abflüsse infolge geringerer Niederschläge haben die Problematik mit den Sedimenten verschärft. Durch den geringeren Abfluss werden weniger Sedimente aus dem Ästuar herausgespült. Zudem steigt der Salzgehalt in vormals weniger salzhaltigen Bereichen, was das ökologische Gleichgewicht stört. Hinzu kommt Sauerstoffmangel in den Sommermonaten, der aquatische Organismen zusätzlich belastet.

Wissenschaftlicher Kontext
Die Studie liefert ein Beispiel dafür, wie menschliche Eingriffe Umweltfaktoren in mesotidalen Ästuaren - also in Flussmündungsgebieten, die durch einen mittleren Tidenhub geprägt sind – verändern und dadurch die Fischfauna beeinflussen. „Unsere Daten belegen, dass Fischbestände langfristig stark unter Druck geraten, wenn ihr Lebensraum durch Umweltveränderungen belastet wird“, sagt Erstautor Jesse Theilen.

Die Ergebnisse eröffnen Anknüpfungspunkte für weiterführende Forschung, etwa im Rahmen des Graduiertenkollegs 2530 „Rolle von Biota im Kohlenstoffkreislauf von Ästuaren“. Dort sind unter anderem Mesokosmos-Experimente geplant, in denen natürliche Bedingungen simuliert werden, um einzelne Umweltfaktoren wie Nahrungsangebot oder Salzgehalt gezielt zu untersuchen. Auch Studien zur Gestaltung flacher Nebengewässer könnten wichtige Hinweise zur Schaffung neuer Aufwuchsgebiete liefern.

Bedeutung für den Naturschutz
Die Untersuchung verdeutlicht, wie wertvoll Langzeitdatensätze sind, um Wechselwirkungen zwischen Umweltwandel und Biodiversität zu erfassen. Nur durch kontinuierliches Monitoring lassen sich Trends erkennen und wirksame Strategien zum Schutz wertvoller Lebensräume wie der Elbmündung entwickeln. „Unsere Daten zeigen, dass sich die Fischfaunastruktur über Jahrzehnte spürbar verändert, wenn sich ihre Umwelt kontinuierlich wandelt“, betont Theilen. „Diese Erkenntnisse sind entscheidend, um gezielte Schutzmaßnahmen für die Elbmündung zu entwickeln.“

Perspektive des Erstautors
Theilens Promotion am LIB und an der Universität Hamburg liefert zentrale Erkenntnisse, um die Dynamik von Fischbeständen im Kontext des Umweltwandels besser zu verstehen. Die Leitung und Konzeption der Studie übernahmen Theilen und Prof. Dr. Ralf Thiel (LIB/Universität Hamburg). An der Probennahme waren neben Theilen, Thiel und Dr. Victoria Sarrazin auch Dr. Elena Hauten und Dr. Raphael Koll vom Graduiertenkolleg beteiligt.

 

Originalpublikation:
J. Theilen, V. Sarrazin, E. Hauten, R. Koll, C. Möllmann, A. Fabrizius, R. Thiel: “Environmental factors shaping fish fauna structure in a temperate mesotidal estuary: Periodic insights from the Elbe estuary across four decades”, Estuarine, Coastal and Shelf Science, Volume 318, 15 July 2025. https://doi.org/10.1016/j.ecss.2025.109208

Wissenschaftlicher Kontakt:
Jesse Theilen
jesse.theilen@uni-hamburg.de

Die Population des Stints (Osmerus eperlanus) ist seit 2010 dramatisch eingebrochen: Der gesamte Fischbestand sank um über 90 %.
Auch der Kaulbarsch (Gymnocephalus cernua) hat abgenommen und ältere Lebensstadien zeigen im Vergleich zu früher ein verringertes Wachstum.
Auch die Finte (Alosa fallax) kommt im Elbeästuar in der Elbe nicht mehr so zahlreich vor, wie noch vor einigen Jahrzehnten.
Die Population des Stints (Osmerus eperlanus) ist seit 2010 dramatisch eingebrochen: Der gesamte Fischbestand sank um über 90 %.
Auch der Kaulbarsch (Gymnocephalus cernua) hat abgenommen und ältere Lebensstadien zeigen im Vergleich zu früher ein verringertes Wachstum.
Auch die Finte (Alosa fallax) kommt im Elbeästuar in der Elbe nicht mehr so zahlreich vor, wie noch vor einigen Jahrzehnten.
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