Sigmund-Freud-Preisträger Matthias Glaubrecht über Wissenstransfer per Literatur

Matthias Glaubrecht erhielt am 4. November den diesjährigen Sigmund-Freud-Preis für seine allgemeinverständliche Darstellung von wissenschaftlichen Sachverhalten in Prosatexten.
© Deutsche Akademie/Andreas Reeg

 

Für seine Sachbücher, unter anderem zu Artenvielfalt und Evolution, hat Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, Wissenschaftlicher Projektleiter des „Evolutioneum“ genannten neuen Hamburger Naturkundemuseums, am 4. November den diesjährigen Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa erhalten. Zudem ist „Die Rache des Pangolin“ beim Hamburger Literaturpreis als Sachbuch des Jahres nominiert. Ein Gespräch über die Vermittlung von Wissen und die Verbindung von Natur und Literatur.

Der Sigmund-Freud-Preis ehrt Autorinnen und Autoren, die komplizierte Sachverhalte ihrer Wissenschaft in Prosatexten allgemeinverständlich darstellen. Warum wird er nur selten an Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler vergeben?

Tatsächlich ist der Preis in all den Jahren seit 1964 bisher nur an vier Naturwissenschaftler – darunter Werner Heisenberg und Carl Friedrich von Weizsäcker – vergeben worden. Meist ging er an Philosophen wie Peter Sloterdijk oder Hans Blumenberg und an Historiker wie Jürgen Osterhammel oder Reinhard Koselleck. Ich bin überhaupt erst der dritte Zoologe beziehungsweise Evolutionsbiologe.

Es ist in erster Linie ein literarischer Preis – und Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler sind wohl eher selten literarisch begabt. Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass wir meist den Fokus auf die Fakten und Befunde, weniger auf die Art und Weise der Vermittlung legen, also darauf, wie wir ein breiteres Publikum erreichen und wie wir uns verständlich machen.

Dabei pflegte die Naturwissenschaft in früheren Zeiten durchaus eine enge Verbindung zu den Künsten. Universalgelehrte wie Goethe und Humboldt haben Naturforschung und literarisches Schreiben verbunden. Was halten Sie von dieser literarischen Popularisierung der Wissenschaft?

Auch in historischer Perspektive ist diese Verbindung von literarischem Schreiben und Naturforschung durchaus problematisch. Goethe konnte noch beides. Aber schon Alexander von Humboldt ist daran gescheitert, als er versuchte, die Ästhetik von Kunst und Literatur mit der Empirie zu verbinden. Fachkollegen – von Charles Darwin bis zu anderen Zeitgenossen – hielten, wenn man genau hinsieht, wenig von Humboldts Texten, insbesondere seinem Alterswerk „Kosmos“, das ja bis heute eigentlich unlesbar ist. Mit seinem ausufernden Werk schlagen sich heute noch Literaturwissenschaftler herum, dagegen hat er nie einen wirklich eingängigen und zugänglichen Reisebericht verfasst.

Humboldt war buchstäblich eine ganze Akademie – aber zumindest in seinem Schreiben alles andere als der beste ‚Popularisierer‘ der Wissenschaft. Sein Zeitgenosse Adelbert von Chamisso, der tatsächlich eine Doppelexistenz als Naturkundler und als Dichter führte, hat dagegen bereits sehr bewusst die Fantasie, die es ja zum literarischen Schreiben auch braucht, aus der Wissenschaft herausgehalten. Allerdings profitiert nicht nur der heute noch gelesene Bericht seiner Weltreise von seiner seltenen literarischen Begabung, sondern auch seine gefeierte Lyrik von seiner breiten naturkundlichen Erfahrung.

Wissenschaft wird auch heute aus dem Elfenbeinturm herausgebracht – und auf der Bühne oder in der Kneipe präsentiert. Was müsste passieren, damit auch Literatur in dieser Wissensvermittlung eine größere Rolle spielt?

Es stimmt: Einige Kolleginnen und Kollegen bemühen sich durchaus immer stärker um diesen Wissenstransfer. Da tut sich einiges, aber leider gilt das unter vielen Forscherinnen und Forschern immer noch als verpönt. Man rümpft weiterhin die Nase über jene, die den engen Fachzirkel verlassen.

Auch wenn man darüber streiten kann, ob etwa Science Slams wesentlich und nachhaltig zur Verbesserung dieses Transfers von Wissen beitragen, wird die Vermittlung insgesamt immer noch zu sehr vernachlässigt. Sie ist ohne Frage ein schwieriges Geschäft, wird hierzulande aber auch viel zu wenig gezielt und mit den richtigen Maßnahmen gefördert.

Das gilt auch für die Literatur als Instrument der Wissenschafts- kommunikation: Eine Doppelbegabung wie bei Goethe oder Chamisso ist selten, aber anders als etwa in den USA gibt es hierzulande an den Universitäten auch keine regelmäßigen Kurse zum Schreiben. Das würde sicherlich helfen. Und das Schreiben müsste als karriereförderlich angesehen werden, was momentan nicht der Fall ist. Im angloamerikanischen Sprachraum wird ein gut lesbares populärwissenschaftliches Buch als Krönung der wissenschaftlichen Karriere angesehen. Bei uns dagegen wird das immer noch viel zu stark getrennt. Und Preise für den Transfer von Wissenschaft sind eher eine Seltenheit – gerade im Vergleich zu den vielen Literaturpreisen.

Was hat Sie bewegt, als Autor von Sachbüchern aktiv zu werden?

Meine ersten Bücher sind aus einer journalistischen Betätigung während meines Studiums und der Doktorarbeit hier in Hamburg entstanden. Für mich sind Bücher aber auch weiterhin ein zeitloses und unschlagbar großartiges Medium des effektiven und nachhaltigen Wissenstransfers – und dabei müssen sie überhaupt nicht trocken und langweilig sein. Wissen und Erkenntnis zu transportieren, und das in gut lesbarer und allen zugänglicher Form, empfinde ich im positiven Sinn als eine Herausforderung, der ich mich gerne stelle. Man ist da als Autor gründlicher als etwa bei einem Podcast oder Blog. Und ich finde, spannend geschriebene Sachbücher sind gerade in unserer Zeit nötig und eigentlich unersetzlich, in der viele meinen, aber weniger wirklich wissen.

Sie sind ein Forscher, der Naturwissenschaft auf verschiedenen Ebenen vermittelt: Als wissenschaftlicher Projektleiter eines neuen Hamburger Naturkundemuseums arbeiten Sie u.a. an einer Ausstellungskonzeption. Was können Sie uns hierüber schon sagen?

Hamburg hat sein Naturhistorisches Museum, immerhin einst das zweitgrößte dieser Art in Deutschland, im Zweiten Weltkrieg verloren, braucht aber dringend wieder einen solchen zentralen Ort der Wissensvermittlung – gerade im immer zentraleren Bereich der Naturkunde.

Mit einem neuen Museum wollen wir nicht nur in der Ausstellung konzeptionell weit über das derzeitige Museum der Natur Hamburg hinausgehen, sondern mit innovativen Elementen im zukünftigen „Evolutioneum“ auch ganz neue Wege des Zugangs zu Wissenschaft und Forschung für die Besucherinnen und Besucher beschreiten. Vor allem wollen wir dabei den Menschen als inzwischen wichtigen Evolutionsfaktor betonen – wie der Name des neuen Museums schon nahelegt.

Mit dem „Evolutioneum“, das jetzt in der Hafencity entstehen wird, sollen aber nicht nur neue Formen des Wissenstransfers entwickelt werden; vielmehr hoffen wir, so auch zu einem besseren Verständnis der Bedeutung des Erhalts der Natur beizutragen. Wir müssen für dieses wichtige Zukunftsthema noch mehr Menschen erreichen – und bewirken, dass sie sich mehr für die Natur interessieren und einsetzen.

Sigmund-Freud-Preis und Jurybegründung

Der Sigmund-Freud-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung ist dem Psychoanalytiker Sigmund Freud gewidmet, dem es gelang, komplizierte Sachverhalte seiner Wissenschaft allgemeinverständlich darzustellen und damit zur Popularität seines Wissensgebietes beizutragen. Glaubrecht erhält den Preis – so die Jury – für seine Sachbücher, etwa „Das Ende der Evolution“ zum Artensterben oder zum Naturforscher und Dichter Adelbert von Chamisso, in denen er laut Begründung der Jury „fundierte Aufklärung über die Lebensprozesse auf unserem Planeten in der Epoche des Anthropozän“ betreibe. „In seinen souveränen Synthesen verschiedenster Bereiche des Wissens und mit seinem Gespür für die historischen und poetischen Dimensionen wissenschaftlicher Erkenntnis erweist er sich als glänzender Stilist, der die Tradition naturgeschichtlicher Prosa auf eindrucksvolle Weise weiterführt.“

Weiterführende Informationen:

www.hamburg.leibniz-lib.de/naturkundemuseum.html

www.deutscheakademie.de/de/akademie/presse/2023-07-21/freud-preis-an-matthias-glaubrecht

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