Gesicht des LIB: Dagmara Żyła

„Mein glücklichster Moment bei der Arbeit ist definitiv, durch mein Mikroskop zu schauen und meine Käfer zu sehen.“

Hier sammelt Dagmara Żyła mit dem Saugrohr Insekten aus dem Fangnetz. © LIB, Żyła

 

Als Leiterin der Sektion Coleoptera faszinieren Dr. Dagmara Żyła beruflich vor allem Käfer. Um in ihrem Traumjob als Wissenschaftlerin zu arbeiten, musste sie sich auf ihr Ziel stark fokussieren und zog aus diesem Grund nach Hamburg. In unserem Interview erzählt sie uns, wie schwer es ist, Vollzeitwissenschaftlerin zu werden und was junge Biologinnen und Biologen während ihrer Laufbahn beachten sollten.

Wann war für Sie klar, dass Sie Wissenschaftlerin werden wollen?

Wirklich spät, nämlich erst in der weiterführenden Schule. Als Kind interessierte ich mich immer für verschiedene wissenschaftliche Themen. Als ich acht oder neun Jahre alt war, waren meine Lieblingsbücher Lexika. Leider hatte ich nur die Ausgaben von D bis S – also fehlten mir alle Dinge, die mit A und einem späteren Buchstaben im Alphabet begannen. Natürlich liebte ich als Kind auch Dinosaurier und das ist bis heute so geblieben. Denn als ich meine Bachelor-, Master- und Doktorarbeit geschrieben habe, beschäftigte ich mich noch schwerpunktartig mit Paläontologie und anderen Insekten.

Gab es einen Plan B, falls es mit der wissenschaftlichen Laufbahn nicht geklappt hätte?

Damals war mein Plan B Lehrerin zu werden – wahrscheinlich Gymnasiallehrerin. Mein Plan A war es jedoch immer in die Wissenschaft zu kommen. Ich war allerdings zu der damaligen Zeit wirklich naiv. Ich wusste nicht, wie schwierig es sein würde und wie viel ich dafür opfern muss. Ich bereue nichts, aber ich wünschte, ich hätte mein heutiges Wissen gehabt, um besser auf das vorbereitet zu sein, was mich erwartet.

Was hätten Sie damals erwartet und was sagen Sie Ihren eigenen Studierenden zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere?

Ich rate ihnen normalerweise dazu, verschiedene Aspekte der Biologie auszuprobieren. So mache ich es auch, denn das Ausprobieren verschiedener Dinge hilft dabei, den Beruf oder die Spezialisierung zu finden, für den oder die man sich am Ende wirklich begeistert. Wenn wir über den Karriereweg sprechen, sage ich ihnen offen, dass dieser Weg nicht einfach ist. Wenn ich auf meine eigenen Entscheidungen und meinen Weg zurückblicke, ermutige ich sie dazu, sehr hartnäckig zu sein und starke Nerven zu haben, um es bis zum Ende zu schaffen.

Welche Dinge machen es so schwer, Wissenschaftlerin zu sein?

Polen – meine Heimat – ist ein ziemlich gutes Land, um anzufangen, weil es einige angesehene Institutionen gibt, die gute Wissenschaft betreiben. Andererseits war das Land zu meiner Studienzeit bei einigen Trends der akademischen Karriere etwas zurückgeblieben. Ich war zum Beispiel nicht darauf vorbereitet, wirklich um eine Postdoc-Position kämpfen zu müssen. Ich glaube, bis zur Hälfte meiner Promotionsstudien war mir nicht einmal bewusst, dass es so etwas wie eine Postdoc-Position gibt. Da ich die erste in meiner Familie war, die an einer Universität studierte, hatte ich kein wissenschaftliches Vorbild in meiner Familie. Ich wusste also nicht, wie eine „perfekte“ Karriere in der Wissenschaft aussehen sollte. Wie fast jede Wissenschaftlerin, hatte ich einen schwierigeren Start als einige meiner männlichen Kollegen. Ich war mir zu der Zeit nicht wirklich dessen bewusst, aber rückblickend erkenne ich, dass es nicht so sein sollte. Das Hauptproblem ist sowieso: Bevor man eine Tenure-Track-Position bekommt, muss man auf viele Enttäuschungen vorbereitet sein. Oder muss um die Welt reisen, um eine Stelle zu bekommen oder auch Dinge tun, was man nicht wirklich tun möchte. Außerdem ist es manchmal schwierig, eine Familie zu gründen. Man braucht einen sehr verständnisvollen Partner. Ich habe das Glück, einen solchen zu haben, und das ist wirklich einer der Gründe, warum ich heute hier bin. Denn meine Partnerin hatte viel Verständnis für meinen Karriereweg und verstand, dass ich dorthin gehen muss, wo mein Beruf gebraucht wird, und nicht unbedingt dorthin, wo wir am liebsten bleiben würden.

Jetzt, da Sie es geschafft haben: Auf welchen Teil Ihrer Arbeit freuen Sie sich am meisten?

Der glücklichste Teil meines Tages ist, wenn ich meine Käfer – also Kurzflügler oder Staphylinidae – anschauen und studieren kann. Ich mag den Kontakt zu den Studierenden, mit denen ich teilen kann, was ich sehe, was ich denke und was ich entdeckt habe. Ich liebe meine Arbeit wirklich, trotz all dieser Barrieren, über die ich zuvor gesprochen habe. Alles hat sich am Ende für mich gelohnt. Ich habe nicht aufgegeben, und das hat mich hierhergeführt, wo ich sehr glücklich bin. Ich liebe es, bei der Arbeit zu sein, und ich liebe die Sammlung hier im Museum der Natur Hamburg. Ich würde gerne mehr Studierende haben, denn ich arbeite wirklich gerne mit ihnen zusammen, und wir haben sicherlich genug Käfer für alle! Mein glücklichster Moment bei der Arbeit ist definitiv, durch mein Mikroskop zu schauen und meine Käfer zu sehen.

Gibt es einen Ort, an dem Sie sich tief mit der Natur verbunden fühlen?

Ja, den gibt es! Ich war zweimal dort, und es hat wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das erste Mal habe ich mich total verliebt und das zweite Mal wurde ich darin bestätigt, dass der Amazonas-Regenwald absolut mein Lieblingsort ist. Die Vielfalt der Arten und alles Drumherum ist absolut beeindruckend. Natürlich meine Käfer, aber auch andere Organismen. Beide Besuche waren Expeditionen: Das erste Mal war ich als Teilnehmerin dort unterwegs und hatte anfangs ein wenig Angst. Ich habe nämlich eine Spinnenphobie und hatte wirklich Angst, furchterregende Achtbeiner im Amazonas-Regenwald zu sehen. Aus diesem Grund war es auch eine stressige Erfahrung, aber zugleich ging mein Kindheitstraum in Erfüllung, die Umgebung persönlich zu sehen. Wie ein Bücherwurm habe ich alle möglichen Literatur über die tropischen Regionen gelesen. Während meines ersten Aufenthalts habe ich gelernt, wie man sich in diesem Ökosystem richtig verhält und wie man sich all dieser gefährlichen Lebensformen angstfrei bewusst ist – also wurde es viel angenehmer, dort zu bleiben. Beim zweiten Mal hatte ich weniger Angst, aber immer noch viel Respekt vor der Natur. Diesmal war ich als Organisatorin der Reise dort, was total anders war. Alle Teilnehmenden haben die Reise sehr genossen und wir konnten großartiges Material für unsere Sammlungen sammeln.

Was ist – neben Käfern – Ihr Lieblingstier und warum?

Ich interessiere mich auf jeden Fall am meisten für Insekten. Ihr evolutionärer Erfolg ist erstaunlich und sie sind überall auf der Welt zu finden. Man kann viele Verhaltensmuster und evolutionäre Prozesse bei ihnen entdecken und studieren. Sie sind meiner Meinung nach auch sehr hübsch – und ich spreche nicht nur von bunten Schmetterlingen. Ich bin fasziniert von ihren Lebensweisen und wie sie mit ihrer Umgebung interagieren. Spinnen faszinieren mich mittlerweile auch ein wenig – ich kann ihnen nur nicht zu tief in ihre Augen schauen.

Wie würden Sie den Begriff „Biodiversität“ einer Gruppe von Kindern erklären?

Der überzeugendste Beweis für Biodiversität ist es, sie direkt den Menschen zu zeigen – ganz gleich, wie alt sie sind. Mit ihnen ins Feld zu gehen und ihnen zu zeigen, was in den Parks und Wäldern hier in Hamburg zum Beispiel lebt. Hier gibt es immer noch gute Lebensbedingungen für viele Arten, die unter Zweigen oder in Büschen leben. Wenn ich bei geführten Touren Laub umherbewege, kann ich immer sehen, wie erstaunt die Menschen sind, wenn sie die Artenvielfalt sehen. Wer alleine in einen Park geht, weiß nicht wonach man schauen muss, und ist ein bisschen „blind“ für die Biodiversität direkt vor der eigenen Nase. Also würde ich ihnen, anstelle den Begriff in Worten zu erklären, viel lieber zeigen, wie vielfältig alltägliche Orte in ihrem täglichen Leben sind.

Was sollen die Menschen mit dem LIB in zehn Jahren in Verbindung bringen?

Dass wir ein weltweit agierendes Biodiversitätszentrum mit einer reichen und sichtbaren Sammlung sind. Mit führender Expertise in der Dokumentation und Analyse der Biodiversität. Das ist es, was ich mir wünsche. Die Sammlungen im Allgemeinen sind die größte Stärke des LIB. Besonders die Käfersammlung liegt mir natürlich sehr am Herzen. Ich denke, wir haben eine große Chance, sie in Zukunft mit dem kommenden neuen Museum in Hamburg für die Öffentlichkeit sichtbarer zu machen.

Woran arbeiten Sie gerade?

Ich habe gerade verschiedene Projekte, bei denen der gemeinsame Nenner natürlich Käfer sind. Und damit meine ich die speziellen Käferarten, die ich untersuche, denn niemand ist wirklich in der Lage, an allen 400.000 Arten zu arbeiten, von denen wir annehmen, dass es sie insgesamt gibt. Wahrscheinlich ist das nur ein Drittel der gesamten Käferbiodiversität. Im Allgemeinen interessieren uns ihre Verwandtschaftsbeziehungen und ihre Evolution. Ich arbeite auch als Taxonomin und Systematikerin und konzentriere mich auf die tropische Region, über die bisher wenig bekannt ist. Daher versuchen wir, eine Grundlage für zukünftige Forschungen zu schaffen, um die große Kluft zwischen dem, was wir sicher wissen, und dem, was bis jetzt nur angenommen wird, zu schließen. Ich versuche mit lokalen Forschenden in Brasilien zusammenzuarbeiten und kooperative Projekte zur Erforschung der tropischen Biodiversität zu starten. Ich habe auch zwei Studierende, die in Naturschutzgebieten hier in Hamburg arbeiten, um die verschiedenen Arten um uns herum zu überwachen. Kürzlich haben wir ein Projekt zur forensischen Entomologie gestartet, weil meine Käfer auch dabei helfen können, Verbrechen aufzuklären.

Was denken Sie, ist die größte Herausforderung für einen besseren Umweltschutz?

Wir kennen bereits die uns umgebene Biodiversität in einigen Teilen der Welt recht gut, aber – wie ich zuvor sagte – fehlt uns das Wissen über bestimmte Gruppen in subtropischen sowie tropischen Gebieten. Und wir können nur schützen, was wir kennen. Wir verlieren ständig Tier- und Pflanzenarten, wissen aber nicht einmal, was wir verlieren. Daher müssen wir hart arbeiten, um alle Arten auf der Welt besser zu schützen, indem wir sie zunächst einmal kennenlernen.

 

Dr. Dagmara Żyła promovierte an der Universität von Schlesien in Polen und schloss ihre Promotion 2013 ab. Anschließend arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Oberschlesischen Museum, ebenfalls in Polen, bevor sie 2015 als Postdoc an das Naturhistorische Museum Dänemarks in Kopenhagen ging. Von 2018 bis 2020 forschte Dagmara als Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiatin an der Iowa State University in den USA und an der Universität Gdańsk in Polen. Später wechselte sie an das Museum und Institut für Zoologie in Warschau, wo sie als PI ihres vom Nationalen Wissenschaftszentrum finanzierten Projekts arbeitete. Im Jahr 2021 wechselte Dagmara schließlich zum LIB am Museum der Natur Hamburg.

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