Gesicht des LIB: Dennis Rödder
„Für mich bedeutet die Natur nicht nur, dass wir einen riesigen Artenkatalog um uns haben, sondern mich fasziniert vor allem, wie alles miteinander vernetzt und voneinander abhängig ist.“
Dennis Rödder an seinem Arbeitsplatz am Museum Koenig Bonn. © LIB, K. Meusemann
Als Kurator der Herpetologie am Museum Koenig Bonn ist er vor allem von Reptilien und Amphibien fasziniert. Als Forscher hat er ein Auge für das Große und Ganze – daher ist er insbesondere an den komplexen Zusammenhängen in der Natur interessiert. Im Interview erzählt er, was wir alle dazu beitragen können, um die Biodiversität vor unserer Haustür besser zu schützen und wo er bei sich selbst angefangen hat, etwas zu verändern.
Ab wann war klar: Ich werde einmal hauptberuflich Biologe?
Das war eigentlich sehr, sehr früh in meinem Leben klar: Ich habe als Kind sehr viel Zeit in der Natur verbracht und mich mit verschiedensten Tiergruppen beschäftigt. Ich kam außerdem sehr früh in Kontakt mit den ersten Fachverbänden für Amphibien Reptilien, weil ich da auf verschiedensten Vortragsabenden zu Gast war und darüber dann immer weiter in den Kosmos der Biologie reingezogen wurde. Zudem habe ich bereits vor meinem Abitur erste Praktika im Museum Koenig Bonn gemacht.
Welcher Aspekt Ihres Berufsalltags ist Ihr Highlight?
Zum einen die Sammlung an sich und zum anderen meine Interaktion mit der Sammlung, Kollegen und Studierenden in Forschung und Lehre. Gerade diese Vielfalt und dass alles miteinander vernetzt ist, begeistert mich bei meiner Arbeit am LIB. Zudem bekomme ich regelmäßig Anfragen von Behörden, die mich dann zu neuen Forschungsfragen führen. Hier schließt sich der Kreis wieder zu den Studierenden, denn einige unsere Aufgaben bearbeiten diese dann zum Beispiel als Masterarbeiten, die ich betreue. In Bezug auf meine Forschungen schätze ich die Interaktionen mit Kolleginnen und Kollegen sowie Studierenden, in denen wir dann gemeinsam Fragestellungen für Studien entwickeln. Spannend ist dann immer zu Ergebnissen zu kommen, mit denen zuvor niemand wirklich gerechnet hat. Wir begleiten gerade unsere Doktoranden über eine so lange Zeit, manchmal über zehn Jahre hinweg, und zu sehen wie sie sich – aber auch unsere gemeinsame Forschung – stetig weiterentwickelt, das ist toll zu beobachten.
Was bedeutet Natur für Sie persönlich?
Es ist schwer das auf ein Gefühl einzugrenzen, denn für mich ist es mehr als die Summe der Einzelteile. Für mich bedeutet die Natur nicht nur, dass wir einen riesigen Artenkatalog um uns haben, sondern mich fasziniert vor allem, wie alles miteinander vernetzt und voneinander abhängig ist. Diese Komplexität ist es, die man sich so eigentlich gar nicht ausdenken kann und nur schwer vorstellen kann, wenn man überlegt, über wie viele Ebenen das Ganze zusammenhängt. Wie stabil es auf der einen Seite sein kann, aber wie fragil es andererseits dann bei bestimmten Störungen ist.
Wo ist Ihr Lieblingsort in der Natur?
Das sind mehrere. 2005 war ich mit einem Museumskurs in Brasilien. Es ging eigentlich um Ornithologie, aber ich habe mich abends immer um die Amphibien und Reptilien gekümmert. Und das spannende war, wir waren da in einem kleinen Gästehaus mit ein paar Teichen und jeden Abend tauchten neue Arten auf, immer wieder neue Amphibienarten. Ein Jahr später bin ich dann für meine Diplomarbeit dahin zurückgekehrt. Hier habe ich insgesamt 109 verschiedene Arten in nur einem Stadtgebiet identifiziert – ein Weltrekord. Das war schon extrem, weil es einfach nirgendwo auf der Welt auf so kleiner Fläche so viele Amphibienarten gibt. Das Ganze habe ich dann jetzt in meine Kurse übertragen: Einmal pro Jahr fahren wir auf Exkursion ans Rote Meer, gehen tauchen und schnorcheln, machen Verhaltensexperimente und lernen den Lebensraum um das Korallenriff dort genauer kennen. Hier finden wir jeden Tag immer neue Arten – egal wie oft man reingeht. Ich bin jetzt gerade vor zwei Wochen zurückgekommen und insgesamt waren wir nun zum achten Mal dort. Wir haben wieder direkt am ersten Tag Arten gesehen, die wir noch nie an den Stellen beobachten konnten. Und das ist genau diese Komplexität die zeigt, wie dynamisch das ist, wie viele Arten das sind und wie viele Abhängigkeiten es dazwischen gibt. Und das versuche ich eben jetzt darüber dann weiter zu vermitteln.
Krebse, Fische, Schmetterlinge: Wer hat ihre ganz persönliche Zuneigung und wieso?
Hm, schwierig. Für mich sind es gar nicht spezielle Arten, die mir einfallen, sondern eher ihre Anpassungen an die Lebensräume, die mich faszinieren. Zum Beispiel sehen wir einen Frosch, der sitzt im Teich und scheinbar war’s das. Wer ein bisschen genauer hinschaut, erkennt zum Teil ganz abgedrehte Lebensweisen oder total vielfältige Reproduktionszyklen. Und ich finde, gerade diese Diversität ist eigentlich das Spannende dabei, so dass jede Art, auch wenn sie augenscheinlich erstmal recht normal und vielleicht auch häufig vorkommt, dann doch ganz, ganz eigne Verhaltensweisen zeigt, die sie besonders machen. Der Forscher in mir will dann wissen: In welchen Habitaten können die vorkommen? Wie sind die Lebensweisen und das Verhalten aufeinander abgestimmt? Es gibt zum Beispiel in Südamerika einen Frosch, der in Ameisennestern lebt. Normalerweise würde jede andere Art da direkt aufgefressen werden. Er verfügt aber über chemisches Mimikry, das ihn maskiert, sodass die Ameisen ihn gar nicht bemerken. Genau diese Formen der Anpassungen finde ich so spannend.
Wie erklären Sie Kindern den Begriff Biodiversität?
Es ist ein sehr komplexer, manchmal auch etwas sperriger Begriff. Daher versuche ich es mal bildlich auszudrücken: Wenn wir im Sommer über eine Wiese gehen, sehen wir sehr, sehr viele einzelne Arten. Wenn man aber bis ins Detail reinguckt, könnte man da auch sehr, sehr viele Beziehungen finden. Man findet die Spinne, die ein Insekt frisst. Dann einen Vogel, der die Spinne frisst. Man findet diese ganzen Wechselbeziehungen, die man eigentlich direkt vor der Haustüre hat und das alles zusammen ist Biodiversität. Also wirklich mehr als nur die Summe der Einzelarten, dazu gehören ebenfalls diese ganzen Geflechte, diese Abhängigkeiten, diese zeitlichen Veränderungen und Dynamiken.
Was sollen die Menschen in zehn Jahren mit dem LIB assoziieren?
Zum einen als Anlaufstelle für alle Fragen, um die Natur, Ökosysteme und Artenvielfalt, aber auch als ein Lösungsanbieter. Als eine Institution, die für die Hauptprobleme, die wir aktuell haben – Insektensterben, generelle Biodiversitätsverlust, Fragmentierung von Arealen – eintritt. Ich wünsche mir, dass wir hier tatsächlich regionale Lösungen anbieten können und die Grundlagen dafür schaffen, dass die Politik für Verbesserungen sorgen kann.
Was ist für Sie die größte Herausforderung auf dem Gebiet des Umweltschutzes?
Europaweit wäre es im Wesentlichen Schlüsselareale zu identifizieren, sodass die Vernetzung der Habitate noch halbwegs aufrecht gehalten wird. Verbesserung von Mikrostrukturen, also von der Politik so genannte grüne und blaue Infrastrukturen. Wir haben ja schon beispielsweise mit Blühstreifen oder Heckenstrukturen an den Äckern angefangen. So was müsste halt nur noch deutlich besser untersucht werden, wie effektiv das tatsächlich ist und wie die ausgestaltet sein müssen, damit das für möglichst viele Arten funktioniert. Zudem können wir alle zum Beispiel im heimischen Garten unseren Beitrag leisten: Das heißt, eine unaufgeräumte Ecke nicht zu beseitigen oder ein Bestäuberbeet anlegen reicht fast schon, um für die eigene Nutzfläche einen Unterschied zu machen. Für sich gesehen mag es nur einen kleinen Einfluss haben, in der Summe jedoch eine große Hebelwirkung.
Was raten Sie jungen Biologen am Beginn ihrer Berufslaufbahn?
Ich frage eigentlich immer als allererstes: Wo wollen sie eigentlich hin? Was ist das Ziel hinterher? Die meisten wollen am liebsten direkt morgen mit einer Bachelor- oder Masterarbeit anfangen und eigentlich scheint das Thema dann egal zu sein. Ich sage dann immer sehr deutlich: „Ne, ist eigentlich nicht egal.“ Für die Masterarbeit vielleicht schon, aber was passiert danach? Welche Weichen werden durch die Forschung für die Studierenden gestellt? Leider haben nur weniger einen längerfristigen Plan, wenn sie sich für diesen Karriereweg entscheiden. Dieser ist aber sehr wichtig, um diesen schwierigen Karriereweg zu beschreiten und als Biologin oder Biologe fest im Berufsleben zu stehen.
Welche Themen des LIB konnten Sie bereits im Privatleben anwenden?
Zum Beispiel bei mir im Garten: Vor etwa fünf Jahren mussten wir leider Bambus entfernen, dabei ist quasi nichts mehr von unserem Garten übriggeblieben. Selbst in einem Feld nebenan hat er bis zu 14 Meter lange Triebe geschossen. Nun versuchen wir daraus eine Oase der Biodiversität zu machen. Ich habe mittlerweile knapp 10.000 Blumenzwiebeln da versenkt, auf einer Fläche von etwa 13 x 10 Metern. Kann man sich vorstellen, was das für eine Quantität ist? Das ist mein eigenes großes Ökoexperiment. Wie viele Arten kriege ich zusammen, wie eng gepackt kann das Ganze sein, sodass es trotzdem funktioniert? Parallel dazu Meerwasseraquaristik: Seit mittlerweile zwölf Jahren besitze ich Meerwasseraquarien. So ein Ökosystem im Kleinen ist natürlich total spannend.
PD Dr. Dennis Rödder leitet seit 2011 die Sektion Herpetologie am Museum Koenig Bon und betreut als Privatdozent Studierende an der Universität Bonn. Nach seinem Studium der Biologie an der Universität Bonn forschte er im Bereich Biogeographie und ökologische Modellierung zunächst als Postdoktorand an der Universität Trier und als Adjunct Assisstant Porfessor an der Utah State University, USA. Seit 2010 ist er als Professor an der Universidade Estadual de Santa Cruz, Ilhéus, Brasilien, tätig.