Gesichter des LIB: Martin Husemann

„Der kulturelle Austausch gehört für mich zur Feldforschung in anderen Ländern einfach dazu.“

© Marjan Seyedi© Marjan Seyedi

 

Kulinarisch gibt er sich experimentierfreudig, wissenschaftlich ist er auf Ödlandschrecken spezialisiert. Dr. Martin Husemann ist Leiter der Sektion Hemimetabole Insekten & Hauflügler am LIB und liebt es, bei seinen Reisen sowohl in die Artenvielfalt als auch die Kultur der Länder einzutauchen. Mit seiner Arbeit möchte er auch die Öffentlichkeit erreichen, zum Beispiel mit der Sonderausstellung „Facettenreiche Insekten“. 

Was hat Sie zur Biologie geführt?

Im Prinzip ging der Weg ein bisschen aus meinem Bio-Leistungskurs hervor. Also, ich war immer schon naturinteressiert und hatte als Kind schon einen Angelschein. Zudem war ich viel mit meinem Vater draußen und in Wäldern unterwegs, um Pilze zu suchen. Ein bisschen Grundinteresse war also schon immer da. Ich hatte auch einen sehr guten Biologielehrer, der mich an die Welt der Insekten herangeführt hat. Wir haben damals Fallen aufgestellt und in unserem Leistungskurs das Präparieren von Insekten erlernt. Vor meinem Studium habe ich zwischen Marketing und Biologie geschwankt, habe mich dann aber im Endeffekt für Biologie entschieden und es bis heute nicht bereut.

Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie nicht Biologe geworden wären?

Das kann ich mir heutzutage relativ schlecht vorstellen, weil ich so tief in dieser Materie drin bin. Aber wie gesagt: Marketing und Werbung fand ich immer ganz spannend. Ich wollte gerne etwas Kreatives machen und etwas, dass bei mir Begeisterung hervorruft. Außerdem ist es gar nicht so ein großer Unterschied zu dem, was ich jetzt mache, nur, dass ich nun eben Werbung für Natur und Artenvielfalt betreibe.

Welcher Aspekt Ihres Berufs ist für Sie ein Highlight?

Zum einen die Arbeit mit der Sammlung, zum anderen aber auch die Feldarbeit. Gerade sind wir aus Georgien und Armenien zurückgekommen — solche Reisen sind natürlich schon die großen Highlights. Wenn man draußen ist, die Tiere lebend im Feld sieht und etwas über ihre Interaktionen lernt, ist das super spannend. Für uns Biologen ist das sehr wichtig. Die Interaktionen mit Museumsbesucherinnen und -besuchern sind ebenso spannend, wie jetzt gerade bei der Insektenausstellung „Facettenreiche Insekten“. So kann ich meine Begeisterung für Biologie und Insekten mit anderen Menschen teilen.

Wieso sind die Reisen für Sie so ein besonderer Aspekt ihrer Arbeit?

Weil ich dadurch nicht nur mit anderen Kolleginnen und Kollegen in Kontakt komme, sondern auch die Länder richtig kennenlernen kann. Wir reisen nicht so, wie es Touristen tun, sondern sind meist an Orten, wo wir auch mit den lokalen Kolleginnen und Kollegen in direkten Austausch kommen. Gerade im Iran – wo ich in letzter Zeit häufig unterwegs war – habe ich viel über die Menschen und die Kultur des Landes gelernt. Ich probiere dabei gerne – gerade auch kulinarisch – neue Dinge aus: Im Iran haben wir „Kaleh Pacheh“ zum Frühstück gegessen. Das ist ein über Nacht gekochter Ziegen- oder Schafskopf, der relativ puristisch ohne viele Extras serviert wird. Ich probiere alles gerne einmal aus – der kulturelle Austausch gehört für mich zur Feldforschung in anderen Ländern einfach dazu.

Was bedeutet die Natur für Sie persönlich? Gibt es einen Lieblingsort in der Natur?

Natur ist unsere Lebensgrundlage. Alles ist irgendwie Natur, wenn man so drüber nachdenkt. Es gibt viele Orte, die mir wichtig sind und die ständig wechseln. Unsere studentischen Exkursionen nach Pevestorf sind immer toll, weil es da ein paar Orte gibt, die sehr spezielle Umweltbedingungen bieten. Im Sommer besuchen wir häufig Verwandte in Brandenburg, die dort einen Garten haben. Hier gibt es eine Wiese, auf der ich meistens die Hälfte unseres Urlaubs verbringe. Da gibt es so viele verschiedene Heuschrecken- und Käferarten, von denen viele auf der Rote Liste stehen und kaum woanders zu finden sind, während sie dort in Massen rumfliegen — aus diesem Grund ist das ein kleines Paradies für mich. Wir waren vor ein paar Jahren im Italien-Urlaub und da habe ich beim Herumwandern einen kleinen Talkessel in Tirol entdeckt. Der war nur etwa 20 mal 20 Meter groß und dort war es viel heißer als in der Umgebung. Auf so kleiner Fläche kamen so viele seltene Arten zusammen: Es war wirklich der totale Wahnsinn. Als würde man eine andere Welt betreten. Total abgefahren.

Welche Tierart hat Ihre persönliche Zuneigung?

Heuschrecken. Obwohl ich zunächst auch lange mit Fischen gearbeitet habe: Ich habe meine Doktorarbeit über Fische geschrieben. Meine Forschung fokussiert sich aber schon seit Jahren auf Heuschrecken und speziell die Ödlandschrecken. Das war meine erste große Liebe bei den Insekten. Ich habe meine Bachelor- und Masterarbeit über die Tiere geschrieben und seitdem fesselt mich das Thema.

Warum haben gerade die Heuschrecken bei Ihnen die Forschungsleidenschaft ausgelöst?

Ich glaube, das ist immer schwierig als Außenstehender wirklich zu verstehen: Mein damaliger Chef hat mich gefragt, ob ich ein leichtes oder ein schweres Thema in meiner Bachelorarbeit behandeln möchte. Damals wollte ich das schwere Thema und deshalb habe ich meine Bachelorarbeit den Sandschrecken gewidmet. Ich habe über eine Heuschrecken-Gattung mit über 170 Arten, in der wir auch mittlerweile taxonomisch und systematisch eine ganze Menge Änderungen vorschlagen konnten, geschrieben. Bis jetzt entstehen immer mehr offene Fragen als wir lösen können. Wenn man in einem Thema tiefer drin ist, dann ist man auch langfristig der zentrale Ansprechpartner dafür. Oft bleibt man als Biologe bei der ersten Liebe, .

Wie würden Sie in leichten Worten zum Beispiel für Kinder den Begriff „Biodiversität“ erklären?

Kurz und prägnant: Die Vielfalt allen Lebens.

Was sollen die Menschen in zehn Jahren mit dem LIB assoziieren?

Hoffentlich wird es als ein Ort gesehen, an dem man sich an den verschiedenen Standorten über die Artenvielfalt informieren kann und interessante Sachen erfährt, die einen aktuellen Bezug zu unserer Forschung haben. Das LIB sollte ein Ort sein, der dazu beiträgt, dass unsere Umwelt ein bisschen besser wird.

Was ist derzeit die größte Herausforderung auf dem Gebiet des Umweltschutzes?

Wir brauchen einen systemischen Umbruch: Wir müssen unsere Denkweise ändern und nachhaltig handeln. Insbesondere benötigen wir Energieformen, die nachhaltig funktionieren. Selbst Windräder oder Solaranlagen sind zwar in ihrem Betrieb vergleichsweise nachhaltig, in ihrer Herstellung jedoch nicht wirklich. Und Energie ist ja nur ein Faktor, der die Zukunft unserer Umwelt beeinflusst. Eigentlich darf es auch nicht viel mehr Menschen geben, als es jetzt gibt. Aber das ist natürlich eine schwierige Thematik, weil wir das schlecht einschränken können.

Was würden Sie jungen Biologinnen und Biologen am Beginn ihrer Berufslaufbahn raten?

Ich würde ihnen raten, es sich sehr gut zu überlegen und nur diesen Weg zu gehen, wenn man wirklich mit dem ganzen Herzen dabei ist. Für diesen Beruf braucht man Leidenschaft und sollte ihn nicht „nur für Geld“ machen, sondern aus Berufung.

Gibt es einen Bereich am LIB, der Ihnen besonders am Herzen liegt?

Umweltbildung und die Ausstellungen, weil dies Fenster nach draußen sind. Hier können wir am besten die Allgemeinheit erreichen und zeigen, was wir tun können und was es letztendlich bringt. Jede und jeder kann für den Erhalt von Biodiversität und Natur einen Beitrag leisten und selbst kleine Schritte können einen größeren Effekt haben, wenn viele mitmachen.

 

DR. habil. Martin Husemann leitet die Sektion Hemimetabole Insekten und Hymenoptera am LIB Standort in Hamburg. Bis 2008 studierte er organismische Biologie in Osnabrück, bevor er in Waco, Texas über Populationsgenetik von Ostafrikanischen Buntbarschen promovierte. Nach Stationen in München und Halle (Saale) arbeitet er seit 2016 in Hamburg in der Insektensammlung.

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