Women in Herpetology – 50 Geschichten aus der ganzen Welt

Umilaela Arifin in der Herpetologischen Sammlung am Museum der Natur Hamburg. © LIB, F. Steinkröger

 

Umilaela Arifin arbeitet am Museum der Natur Hamburg als Herpetologin und hat in ihrer Forscherinnenlaufbahn schon sehr viel erlebt. Nun hat sie sich mit 49 weiteren Fachfrauen aus der Wissenschaft zusammengetan und das Buch „Women in Herpetology“ veröffentlicht – ein Buch, das jeder Einzelnen den Raum gibt, die eigene persönliche Geschichte zu erzählen. Im Interview erzählt Arifin, wie es zu dem Projekt kam und wem die Einnahmen zu Gute kommen.

Wie entstand die Idee für das Buch?

Es war ein sehr langer Prozess. Seitdem ich meine Karriere als Forscherin begonnen habe, teile ich oft meine Erfahrungen mit meinen Freunden. Beispielsweise über meine Feldforschung oder meine gesamte – zum Teil schwierige – Reise Herpetologin zu werden. Viele von ihnen fanden meine Geschichten faszinierend und inspirierend. Sie schlugen vor, sie in einem Buch zu veröffentlichen und boten sogar an, sie stellvertretend für mich zu verfassen. Ich war nicht selbstbewusst genug, weil ich glaubte, dass andere möglicherweise interessantere oder inspirierende Geschichten zu erzählen hätten. Die Idee, es trotzdem zu versuchen, kam jedoch immer wieder auf. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass es voreingenommen von mir selbst wäre, nur eine persönliche Geschichte über mich zu schreiben. Darum kam mir dann die Idee, Leute aus der ganzen Welt zusammenzubringen und all ihre Geschichten in einem Buch zu sammeln. Ich teilte diese Idee mit Dr. Itzue Wendolin Caviedes Solis während unserer Wanderung am Arthur Pass in Neuseeland im Jahr 2020, nachdem wir am 9. Weltkongress der Herpetologie in Dunedin teilgenommen hatten. Itzue und ich trafen uns zum ersten Mal 2016 auf dem 8. Weltkongress der Herpetologie in China und wurden im Laufe der Jahre beste Freunde. Später im selben Jahr lud ich Dr. Sinlan Poo ein, unser Team zu verstärken. Wir drei trafen uns im November 2020 und begannen einen konkreten Plan zu erstellen. Mit diesem Treffen begann unsere Reise für dieses Buch, das wir kürzlich veröffentlicht haben. Eine große Erleichterung! Wir fühlen uns, als hätten wir gerade unser „Pandemie-Baby“ geboren!

Welche Richtlinien wurden für die Geschichten im Buch gegeben?

Ursprünglich wollten wir strenge Richtlinien geben, um einen „roten Faden“ durch das Buch ziehen zu lassen. Wir haben uns jedoch schließlich für das Gegenteil entschieden. Wir wollten den Autorinnen so viel Freiheit wie möglich geben: Sie sollten selbst entscheiden, welchen Teil ihrer Geschichte sie erzählen wollten, wie persönlich diese Informationen sind oder auf welche Aspekte der eigenen Karriere oder Lebensgeschichte sie sich konzentrieren wollten. So konnten wir diese bunte Vielfalt in unserem Buch schlussendlich bündeln.

Wie haben Sie die beitragenden Autorinnen ausgewählt?

Unser Hauptziel war es, das Augenmerk auf die Vielfalt der Frauen im Bereich der Herpetologie zu richten. Um dies zu erreichen, wollten wir 50 Frauen aus 50 Ländern und Regionen von allen Kontinenten zusammenbringen, da es so etwa ein Viertel aller Länder und Regionen in der Welt repräsentiert würden. Für uns war es wichtig, Vielfalt in all ihren Formen und Dimensionen darzustellen. Daher sollten diese 50 Frauen einen vielfältigen Beruf, verschiedene Karrierestufen sowie unterschiedliche Institutionen repräsentieren. Am Anfang schien es eine entmutigende Aufgabe zu sein, weil wir nicht einmal wussten, wie wir diese 50 Frauen mit den oben genannten Kriterien in unserem Bereich finden sollten. Es war ziemlich herausfordernd, denn für einige Regionen fanden wir kaum Herpetologinnen. In anderen Ländern wiederum gab so viele Herpetologinnen, dass wir eine Auswahl treffen mussten. Letztendlich hatten wir jedoch Erfolg: Unser Buch ist das erste Projekt, das 50 Herpetologinnen und 17 Illustratorinnen aus der ganzen Welt zusammenbringt und die wunderbare Zusammenarbeit zwischen Frauen in der Wissenschaft und Frauen in den Künsten hervorhebt.

Welche Geschichte erzählen Sie in dem Buch?

Wenn mich jemand fragt, „Warum studieren Sie Amphibien?“, antworte ich in der Regel: „Ich wurde gefangen und dann habe ich mich selbst gefangen.“ Das ist auch das, was ich im Allgemeinen im Buch geteilt habe. Die Geschichte, wie ich meine Leidenschaft für Amphibien und Reptilien und die indonesische Biodiversität im Allgemeinen entdeckte. Als ich ein Kind war, wusste ich nicht, was ein Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin ist oder dass es sich um einen richtigen Beruf handelt. Daher hatte ich nie davon geträumt, eine Forscherin zu werden. Mit meiner Familiensituation zu dieser Zeit war mein Ziel nach dem Erhalt eines Universitätsabschlusses klar, einen gut bezahlten Job zu finden, um meine Eltern zu unterstützen. Ein sehr praktischer Grund, der in meiner Heimatstadt sehr verbreitet war. Ich habe nicht erwartet, dass sich mein Leben erheblich verändert, nachdem ich an einer dreimonatigen herpetologischen Expedition auf der Insel Sulawesi in Indonesien mit Forschenden aus den USA, Kanada und Indonesien teilgenommen habe. Jetzt freue ich mich, mich als Wissenschaftlerin zu bezeichnen, die Amphibien und Reptilien studiert – eine Tiergruppe, die ich früher nicht mochte, die aber mein „Glücksbringer“ wurde und mich an zahlreiche Orte im indonesischen Archipel und auf der Welt brachte. Durch meine Geschichte möchte ich den Leserinnen und Lesern mitteilen, dass ein kleines Ereignis im Leben einer Person den Verlauf ihres ganzen Lebens verändern kann. Da das Leben immer unvorhersehbar ist, glaube ich, dass es viel wichtiger ist, den Weg zu genießen, als sich ausschließlich auf das Ziel zu konzentrieren.

Warum sind Sie Herpetologin geworden und haben diesen herausfordernden Karriereweg gewählt?

Ich denke, es ist einfach wegen meiner Liebe zur Natur. Und warum Amphibien? Vielleicht wegen der dreimonatigen Expedition, an der ich damals teilnahm, die mir gezeigt hat, wie Forschung über Amphibien und Reptilien abläuft. Und weil ich gelernt habe, dass Amphibien als Forschungsobjekte oft übersehen werden – im Vergleich etwa zu Tigern oder Orang-Utans. Ich dachte früher, Amphibien seien eklig, und damals mochte ich Pflanzen viel lieber. Ich wusste einfach nicht so viele Dinge über Amphibien, bevor ich sie mit eigenen Augen während dieser Sulawesi-Expedition sah und am Ende Gefallen an ihnen fand. Je mehr ich über Amphibien erfahren habe, desto faszinierender wurden sie für mich. Diese Situation erinnerte mich an das indonesische Sprichwort „tak kenal maka tak sayang“ („Was du nicht kennst, wirst du nicht lieben“). Durch das Studium von Amphibien verstehe ich, wie faszinierend die indonesische Biodiversität ist, und dass noch viel mehr getan werden muss, um sie zu schützen und zu bewahren. Mir wurde auch klar, dass aus denselben Gründen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland nach Indonesien kommen, um Biodiversitätsforschung zu betreiben. Als Indonesierin dachte ich, dass ich diejenige sein sollte, die sich mehr um die indonesische Biodiversität kümmert und sie besser versteht. Deshalb habe ich mich entschieden, diesen Karriereweg zu wählen, um tiefgehende Kenntnisse über die indonesische Biodiversität zu haben und sie dazu zu nutzen, zu den Bemühungen um Schutz und Erhaltung beizutragen. Ich denke auch, dass die Weitergabe meines Wissens an die nächste Generation genauso wichtig ist, wie die Forschung selbst. Und obwohl ich mich derzeit in Deutschland aufhalte, konzentriere ich mich weiterhin auf meine Forschung in meiner Heimat, Indonesien.

Ist es üblich, dass Frauen aus verschiedenen Kulturen und Regionen in Ländern wie Deutschland, den USA oder anderen Ländern arbeiten, in denen es große naturhistorische Museen oder Forschungsinstitute gibt?

Ich denke, das variiert stark. Ich glaube, jede hat ihre eigenen Gründe, warum sie sich entscheidet, in der Heimat oder anderswo zu arbeiten, um das zu tun, was sie tun möchte. Beide Wege sind in Ordnung. Ich kenne einige Kolleginnen und Kollegen, die aus Entwicklungsländern stammen, aber in anderen Ländern arbeiten, und einige, die in ihren Heimatländern geblieben sind. Und alle diese Kolleginnen und Kollegen leisten ausgezeichnete Arbeit. Aber warum hören wir selten von Forschenden, die in weniger entwickelten Ländern ansässig sind? Die Antwort könnte ebenfalls variieren, aber ich nehme an, weil sie nicht viel Wert darauflegen, außerhalb ihrer Regionen sichtbar zu sein. Sie möchten sich möglicherweise nur darauf konzentrieren, gute Arbeit für die Gesellschaft zu leisten, in der sie sich befinden. Oder sie haben verschiedene Einschränkungen, die sie weniger sichtbar für die Welt machen, ganz zu schweigen vom Zugang zu sozialen Medienplattformen. Daher war es mir wichtig, auch sie in unserem Buch zu haben. Wir möchten diesen Wissenschaftlerinnen helfen, für die Welt sichtbarer zu werden und Anerkennung für ihren Beitrag in der Branche zu erhalten. Darüber hinaus möchten wir ihnen helfen, sich zu treffen und mit anderen zu vernetzen, damit sie ihr Wissen oder ihre Forschungsinteressen austauschen können. Und am wichtigsten ist, dass sie nicht das Gefühl haben alleine zu sein!

Gleichberechtigung ist nicht nur in Deutschland ein Thema. In vielen Ländern ist es für Frauen noch schwieriger, eine Forschungskarriere zu verfolgen. Geht das Buch auf diese Themen ein?

In der Tat! Obwohl es sich im Allgemeinen verbessert, ist Geschlechterungleichheit, auch in den MINT-Fächern, weltweit immer noch ein wichtiges Anliegen. Wenn ich auf meine Erfahrungen zurückblicke, war es für mich nicht einfach, dahin zu gelangen, wo ich jetzt bin, besonders, weil Feldarbeit ein wesentlicher Bestandteil meiner Forschung ist. Mir ist vollkommen bewusst, dass der Weg weiterhin noch herausfordernder ist. Was trägt zu diesem Problem bei? Gesellschaftliche Strukturen, Kulturen, Normen und Traditionen können die Geschlechterungleichheit beeinflussen. Zudem gibt es einen Mangel an Vorbildern, insbesondere solchen, die so aussehen wie wir. Als ich meine Reise in der Herpetologie begann, kannte ich nur zwei indonesische weibliche Herpetologinnen. Wir möchten durch dieses Buch dazu beitragen, die Situation zu verbessern. Unsere 50 Autorinnen aus 50 Ländern und Regionen teilen freundlicherweise ihre persönliche Geschichte, die ihr Geschlecht, kulturellen Hintergrund und beruflichen Werdegang beim Streben nach einer Karriere in der Herpetologie miteinander verbindet. Wir glauben, dass jede Stimme zählt und jede Geschichte wichtig ist. Dieses Buch gibt uns Hoffnung, dass jede sein kann, was sie sein möchte, und dass es nicht nur akzeptiert, sondern geschätzt wird, man selbst zu sein! Jede sollte nach ihrer Fähigkeit und Kompetenz bewertet werden und nicht, weil sie eine Frau ist oder aufgrund eines anderen Labels, das die Gesellschaft ihnen verpasst. Deshalb werden wir alle Gewinne aus dem Buchverkauf nutzen, um ein Stipendium für Studierende aus unterrepräsentierten Hintergründen einzurichten. Unser größter Traum ist es, eine Welt zu schaffen, in der Unterdrückung bekämpft und nicht fortgesetzt wird. Eine Welt, in der alle willkommen sind und in der wir uns alle zugehörig fühlen.

Wie wurde das gesamte Buch finanziert?

Als meine beiden Kolleginnen und ich dieses Buchprojekt starteten, waren wir uns bewusst, dass wir kein Geld dafür haben. Wir haben es trotzdem gemacht, weil wir glauben, dass es ein bedeutendes Projekt ist. Außerdem denke ich, dass unsere Aufrichtigkeit ansteckend war. Wir konnten erfolgreich 50 Beitragende aus der ganzen Welt gewinnen, die gemeinsam an diesem Buchprojekt arbeiteten. Später konnten wir 17 von mehr als 100 Illustratorinnen überzeugen, pro bono an diesem Projekt zu arbeiten. In einem idealen Szenario sollte jede, die zu diesem Buchprojekt beigetragen hat, wie Autorinnen, Illustratorinnen, Redakteurinnen, Buchdesignerinnen, Korrekturleserinnen und viele mehr, eine Vergütung für ihre Zeit und Mühe erhalten. Allerdings sagte Jess Jardim-Wedepohl unsere Illustratorin aus Südafrika: „Dieses Buch war für alle Beteiligten ein Herzensprojekt!“. Keine von uns hat Geld für ihren Beitrag erhalten, außer der Buchdesignerin, den wir aus Spenden bezahlt haben, die wir gesammelt haben. Dennoch steht das in keinem Verhältnis zu der Menge an Arbeit, die unser Buchdesigner in dieses Projekt gesteckt hat. Wir sind daher sehr dankbar für alle, die ihre Zeit für dieses Projekt gespendet haben. Dieses Buch wurde durch den Beitrag aller ermöglicht.

Wie wurden die Personen ausgewählt, die ein Stipendium erhalten?

Dieses Buch ist das Ergebnis von Freundschaften und Netzwerken, die während Meetings wie etwa Konferenzen entstanden sind. Es ist schwierig, sich als Minderheit in der toxischen Welt der Akademie zu bewegen. Durch diese Treffen andere Menschen kennenzulernen, konnte uns das Gefühl geben, dass wir nicht allein sind. Repräsentation ist sicherlich wichtig und Menschen in unserem Fach zu treffen, die so aussehen wie wir, erhöht unser Zugehörigkeitsgefühl und verringert die Gefahr von Stereotypen. Tatsächlich haben auch die drei Herausgeberinnen uns auf einer Konferenz getroffen. Die Teilnahme an Konferenzen hat unser Zugehörigkeitsgefühl gesteigert und es uns ermöglicht, Kooperationspartnerinnen zu treffen und Freundinnen aus der ganzen Welt zu finden. Aus diesem Grund möchten wir es einer Stipendiatin durch unsere Buchgewinne ermöglichen, an einer dieser Veranstaltungen teilzunehmen. Wir möchten, dass die Studierenden, die unser Stipendium erhalten, die Vorteile erleben, die wir hatten. Der Weltkongress der Herpetologie findet alle vier bis fünf Jahre in verschiedenen Regionen statt. Wir möchten, um möglichst effizient mit den Geldern umzugehen, dann je eine Frau aus der Region, wo der Kongress stattfindet, unterstützen daran teilzunehmen. Für den 10. Weltkongress der Herpetologie in Malaysia 2024 suchen wir daher eine passende Kandidatin aus dem südostasiatischen Raum. Stipendien werden an eine Studentin und eine Doktorandin vergeben, die auf dem Kongress einen Vortrag oder ein Poster präsentieren werden.

Für weitere Informationen zum Buch: WWW.WOMENINHERPETOLOGY.COM

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