Schon kleine Mengen an Pestiziden schaden Insekten

Christoph Scherber stößt mit Projekten wie FINKA breite Diskussionen in der Landwirtschaft an, wie die Artenvielfalt auf Ackerflächen erhöht werden kann. © Landvolk Hannover

 

Pflanzenschutzmittel haben auch in sehr geringen Dosen sehr negative Folgen für Insekten, auch wenn sie die einzelnen Tiere nicht töten. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Fachmagazin Science, für die Forschende die Wirkung von über 1000 Chemikalien untersuchten, die im Pflanzenschutz eingesetzt werden. Ein Gespräch mit Christoph Scherber, Leiter des Zentrums für Biodiversitätsmonitoring im LIB, der in Projekten mit Landwirten alternative landwirtschaftliche Methoden ohne chemischen Einsatz testet.

Weltweit wird seit vielen Jahren ein Rückgang der Artenvielfalt und der Masse an Insekten beobachtet. Die Fragmentierung von Lebensräumen, eingeschleppte Arten, die zunehmende Urbanisierung, der Klimawandel und auch die intensive Landwirtschaft sind als Ursachen bekannt.

Die aktuelle Studie belegt nun, dass Pestizide das Verhalten von Insekten auch in minimalen Dosen beeinflussen und ihre Bewegungen und Fortpflanzung erheblich stören. Die Sicherheitsbewertungen der chemischen Substanzen berücksichtigen jedoch meist nur tödliche Dosierungen. Hingegen sind die subtileren chronischen Auswirkungen niedrigerer Konzentrationen auf Arten, die nicht gezielt mit den Pflanzengiften getötet werden sollen, häufig kaum oder nur wenig erforscht.

Herr Scherber, wie schätzen Sie die Bedeutung der Studie ein?

Diese Studie füllt eine wichtige Lücke zu den Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf Nicht-Ziel-Organismen und insbesondere zu den Langzeiteffekten unter niedrigen Konzentrationen. Das Autorenteam hat äußerst exakt und sowohl mit Modellorganismen (Drosophila) als auch mit weiteren Insektenarten (Stechmücken und Schmetterlingsraupen) gearbeitet. Überraschend sind sowohl die Vielzahl beobachteter Verhaltensänderungen bei Insekten als auch die Stärke der Effekte bei höheren Temperaturen. Ich rechne damit, dass diese Studie große Auswirkungen auf künftige Dosis-Wirkungsanalysen bei Pflanzenschutzmitteln haben wird.

Was sagen Sie zu den Methoden?

Die Studie verwendet eine Vielzahl exakter Methoden und Messprotokolle, die in der Insektenforschung etabliert sind. Das Spektrum überprüfter Pflanzenschutzmittel ist herausragend und eine Studie wie diese wäre eigentlich schon lange nötig gewesen. Ganz allgemein kann man sagen, dass solche unabhängigen Studien eigentlich nur an Forschungsinstituten und Universitäten durchführbar sind. Die aktuelle Studie füllt hier eine wichtige Lücke, insbesondere da sie mit Originaldaten arbeitet und keine reine Zusammenschau bestehender Studien ist.

Kann man die Labordaten auf das Freiland übertragen?

Natürlich sind die Ergebnisse, da es sich um eine Laborstudie handelt, erstmal nicht auf das Freiland übertragbar. Da Insekten aber auch unter Freilandbedingungen einem schwach konzentrierten Cocktail von allen möglichen Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt sind – und oftmals vor allem die Larvenstadien besonders stark betroffen sind – liefert die Studie hier erste wichtige Hinweise auf Auswirkungen im Freiland. Diese Studie ist eine der ersten ihrer Art, und das Autor(inn)enteam hat entsprechend vorsichtig formuliert – aber die Bedeutung der Ergebnisse unter Realbedingungen werden erst in zukünftigen Studien aufgezeigt werden können.

Welche Folgen könnte die Studie für die Zulassung von Pestiziden haben?

Generell muss darauf hingearbeitet werden, dass in den Testlaboren und auch bei den Herstellern von Pflanzenschutzmitteln endlich auch auf Kombinationen von Pestiziden getestet wird. Die Labore dort arbeiten sehr effizient und es sollte möglich sein, erweiterte Testprozeduren einzubauen. Die Berichte, die meist unter Verschluss bleiben, sollten zudem zugänglicher und transparenter gemacht werden. Für Deutschland gesehen brauchen wir zudem nun wirklich ein flächendeckendes Netz von Messpunkten für Pflanzenschutzmittel und ein Pestizid-Monitoring. Es ist unverständlich, warum diese Daten immer noch nicht verfügbar sind, obwohl Landwirt:innen diese ja sehr akribisch dokumentieren müssen.

 

Originalstudie in Science:

Lautaro Gandara et al., Pervasive sublethal effects of agrochemicals on insects at environmentally relevant concentrations. Science 386,446-453(2024). DOI:10.1126/science.ado0251

 

Kontakt:

LIB – Leibniz Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels
Museum Koenig Bonn
Prof. Dr. Christoph Scherber
Stellvertretender Direktor LIB
Leitung Zentrum für Biodiversitätsmonitoring und Naturschutzforschung
+49 228 9122-450
c.scherber@leibniz-lib.de

Verwandte Artikel

  • Forschung, LIB

    GiBBS-Tagung: Baustoffbranche auf dem Weg zu mehr Artenschutz

    Die Fachtagung „Artenschutz in der Baustoffindustrie“ am 1. Oktober 2024 im Museum Koenig Bonn, stellte Praxisbeispiele und Empfehlungen vor.

    Mehr erfahren
  • Forschung, LIB, Wissensvermittlung

    Neue digitale Speicherplattform: ein Meilenstein im Biodiversitätsmonitoring

    In Deutschland leben tausende Tierarten, die wissenschaftlich noch kaum oder gar nicht untersucht sind. DNA-Metabarcoding dient bei der Arterkennung als wirksames und wichtiges Werkzeug.

    Mehr erfahren
  • Forschung, LIB, Pressemitteilung

    Das größte Genom aller Tiere entschlüsselt

    Dreißigmal so groß wie das des Menschen: Ein internationales Wissenschaftsteam um den Konstanzer Evolutionsbiologen Axel Meyer und den Würzburger Biochemiker Manfred Schartl, darunter Forschende des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), sequenzierte die größten Genome aller Tiere – die von Lungenfischen.

    Mehr erfahren