„Nicht das Wetter – wir Menschen verursachen das Insektensterben”
In verschiedenen Forschungsprogrammen mit der Agrarindustrie generiert das LIB über moderne Monitoring-Methoden Daten, aus denen die Treiber der Biodiversitätskrise hervorgehen. © LIB, Scherber
Kann das Wetter wirklich die Hauptursache für das Insektensterben sein? Eine aktuelle Studie im Fachmagazin Nature macht (veränderte) Wetterbedingungen für den starken Schwund von Insekten verantwortlich. Christoph Scherber, Stellvertretender Direktor des LIB, widerspricht und sieht auf Basis seiner Untersuchungen die Veränderung und Intensität der Landnutzung als Hauptursachen.
Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht der Klimawandel mit seinen Wetterphänomenen?
Klimatische Veränderungen beeinflussen Insektenpopulationen durchaus. Das ist eigentlich schon seit den 1950er Jahren bekannt – Insekten sind ja wechselwarm und reagieren daher grundsätzlich stark auf Temperatur und Feuchtigkeit. Gewissermaßen sind Wetter und Klima das „Grundrauschen“, das schon immer auf Insekten gewirkt hat. Die Kunst besteht nun darin, über dieses Grundrauschen hinausgehende Einflüsse exakt herauszuarbeiten. Es gibt viele experimentelle Studien zu den Auswirkungen von Düngung, Pflanzenschutz, Bodenbearbeitung, Dürre, Temperaturerhöhung, sowie gestiegenem CO2-Gehalt der Atmosphäre auf Insekten, in welchen sich Kausalzusammenhänge wunderbar miteinander vergleichen lassen.
Was sind nach Ihrer Einschätzung und Ihren Untersuchungen die entscheidenden Ursachen für das Insektensterben?
Nicht das Wetter – wir Menschen verursachen das Insektensterben. Die Umwandlung einer vielfältigen, bunten Landschaft in Bauland und intensive Agrarwirtschaft mit Monokultur und Chemieeinsatz sind meiner Erkenntnis nach die Hauptursachen. Wir haben zum Beispiel in einer Studie im Jahr 2015 ganz konkret die Biodiversität von Pflanzen, Schmetterlingen, Heuschrecken und weiteren Gruppen in Naturschutzgebieten untersucht. Dabei war die Biodiversität immer dann besonders niedrig, wenn viel Ackerland in der Umgebung vorhanden war – und wenn die Schutzgebiete stark voneinander isoliert lagen.
2017 machte die Krefeldstudie einen Insektenschwund von 75 Prozent bekannt. Liefert die Nature-Studie überraschende Erkenntnisse zu den Ursachen?
Die Studie bringt keinerlei neue Erkenntnisse und behindert eher die Debatte um die Ursachen des Insektensterbens. Schon der Ansatz ist falsch: Wir brauchen experimentelle Studienergebnisse, wie zum Beispiel zum Mischfruchtanbau (DIVERsify-Projekt), zum Verzicht auf Pflanzenschutzmittel (FINKA-Projekt) oder zu Blühstreifen (NaPA-Projekt), um Muster und Modellierungen zu entwickeln und zu schauen, was wir in Zukunft anders machen können. Die Autoren präsentieren zu einfache Modelle und lassen nachweislich wichtige Einflussgrößen wie insbesondere die Landnutzung außen vor. Die Krefeld-Studie war ja ursprünglich auch nicht auf das Entdecken von Landnutzungs-Änderungen angelegt – da ist es kein Wunder, wenn man dann in einem so heterogenen Datensatz kaum Kausalzusammenhänge findet. Man kann die Dynamik eines Systems nicht durch pures Betrachten verstehen. Dabei liegen hervorragende Grundlagen aus strukturierten Biodiversitätsmonitorings beispielsweise des Dachverbands Deutscher Avifaunisten oder des Bundesamts für Naturschutz vor. Diese Daten werten wir derzeit im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsvorhabens aus.
Wie blicken Sie auf die Krefelder Studie und ihre Weiterentwicklung?
Die Autoren der „Krefeld-Studie“ hatten selbst angemerkt, dass die Ursachen für den Insektenrückgang mit den vorliegenden Daten nicht genau belegt werden können. Die Studie blickt auf den Insektenbestand in deutschen Naturschutzgebieten der vergangenen 27 Jahre zurück und hat eine Debatte über Ursachen und Schutzmaßnahmen, aber auch über unser Wissen um die heimischen Arten angeregt. Dieses Wissen ist sehr lückenhaft. Deshalb sind seit 2017 mit Unterstützung der Bundesregierung viele sinnvolle Studien angeschoben worden. Beispielsweise die LIB-Studie GBOL-Dark Taxa. Wir entdecken in Deutschland immer noch hunderte neue Arten, ganz zu schweigen von eingeschleppten Arten, die sich nur mit modernen molekularen Methoden wie in GBOL aufspüren lassen. Nur wenn wir diese Arten einordnen können, vermögen wir zu sagen, wie viele verloren gehen und warum. Wir müssen hier langfristig forschen und gleichzeitig jetzt schon gegen das Insektensterben handeln.
Haben wir schon genügend Daten für Schutzmaßnahmen beisammen? Was trägt hier das LIB bei?
Wir haben verschiedene Forschungsprogramme, auch EU-weit, in Kooperation mit Landwirten laufen (beispielsweise das Projekt „BioMonitor4CAP“). Hier generieren wir über moderne Monitoring-Methoden Daten, aus denen wir die Treiber der Biodiversitätskrise herauslesen können. Es ist längst genug bekannt, um endlich effektive Maßnahmen zum Schutz der Insekten umzusetzen – Maßnahmen, von denen man schon jetzt aus Feldversuchen weiß, dass sie wirken. Aus unseren bisherigen Studien zeigt sich ganz deutlich, dass biodiversitätsfördernde Maßnahmen wie Mischfruchtanbau, Reduktion von Pflanzenschutzmitteln oder mehrjährige Blühstreifen die Insekten-Biodiversität fördern. Auch in Wäldern und Gärten betreiben wir Forschungen und haben hier konkrete Lösungsansätze aufgezeigt. Anstatt zurückzublicken, sollten wir nach vorne schauen und aktiv werden für eine biodiversitätsfreundliche Zukunft.
Kontakt:
Leibniz Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB)
Museum Koenig Bonn
Prof. Dr. Christoph Scherber
Stellvertretender Direktor LIB
c.scherber@leibniz-lib.de
+49 (0)228 9122 450