Gesicht des LIB: Camilla Bruno Di Nizo
„Die Möglichkeit, lebendes Material von individuellen Arten nach ihrem Tod zu bewahren und so potenziell zum Erhalt beizutragen, ist sehr aufregend.“
Camilla B. Di Nizo während eines Ausflugs in der Caatinga, Nordostbrasilien. © Camilla B. Di Nizo
Für Camilla B. Di Nizo birgt die wissenschaftliche Arbeit jeden Tag neue Überraschungen. Als Leiterin des Labors für Zellkulturen in der Biobank des LIB hat sie lebensfähiges Material von mehr als 100 Arten konserviert. Lebende Zellen sind eine „erneuerbare“ Ressource und können für verschiedene Zwecke genutzt werden, wie für die Funktions- oder Reproduktionsbiologie.
Was hat Sie zur Biologie geführt?
Seit meiner Kindheit wollte ich immer Wissenschaftlerin werden. Ich war immer sehr neugierig – meine Eltern konnten es fast schon nicht mehr ertragen, dass ich so oft „Warum?“ fragte. In der Schule waren meine Lieblingsfächer immer Naturwissenschaften oder besonders Biologie (vor allem Laborunterricht). So führte eines zum anderen.
Was wären Sie geworden, wenn es mit der Biologie nicht geklappt hätte?
Das ist eine schwierige Frage, weil ich mir nicht vorstellen kann, etwas anderes zu machen. Aber vielleicht wäre ich sonst Schriftstellerin oder Journalistin geworden.
Was treibt Sie als Forscherin an?
Die Chance, etwas Neues zu entdecken, die Tatsache, dass Wissenschaft sich fortlaufend verändert und wir ständig auf der Suche nach Wissen sind. Mich treibt als Forscherin auch an, dass, wenn wir versuchen, eine Frage zu beantworten, viele weitere Fragen auftauchen.
Was sind die Höhepunkte Ihrer täglichen Arbeit?
Höhepunkte sind, wenn ich Zellen und damit lebendes Material aus einem gerade verstorbenen Tier gewinnen und diese später unter extremer Kälte konservieren kann, und zwar nicht nur für den künftigen Ex-situ-Erhalt, aslo außerhalb des eigentlichen Lebensraums der Art, sondern auch für biotechnologische Ansätze. Darüber hinaus ist meine Arbeit sehr integrativ und ich habe die Möglichkeit, mit verschiedenen Personen und Forschenden am LIB zusammenzuarbeiten.
Schaffen Sie einen „gefrorenen Zoo“, wie Ihre Kollegen im San Diego Zoo?
Ja! Die Kollegen in San Diego waren Pioniere auf diesem Gebiet und kultivieren bereits seit den 70er Jahren Zellen von Tieren. Sie sind sicherlich eine Referenz für uns und andere Zellbanken auf der ganzen Welt. Das LIB engagiert sich seit 2019 auf diesem Gebiet (zunächst im Rahmen des FOGS-Projekts https://fogs-portal.de/en/forensic-genetics-for-species-protection-fogs-2/). Bisher haben wir mehr als 100 Arten mit Zellen oder lebensfähigem Gewebe eingefroren. Unsere nächsten Ziele sind die Gewinnung von Zellen aus wirbellosen Tieren und die Kryokonservierung von Keimzellen. Das Einfrieren von Zellen bei extrem niedrigen Temperaturen garantiert ihre strukturelle und funktionelle Unversehrtheit und macht sie zur besten Materialquelle für hochwertige DNA, RNA, Proteine oder Chromosomen. Außerdem hat das LIB durch die Zellen eine Renaissance in der Zytogenetik erlebt.
Wird es in Zukunft möglich sein – oder wird am LIB versucht –, ausgestorbene Arten aus Zellmaterial wieder zum Leben zu erwecken?
Derzeit ist es nur möglich, den Erhalt stark bedrohter Arten zu gewährleisten. Man hat Stammzellen mit Techniken der assistierten Reproduktion kombiniert, um die Wiedereinführung der genetischen Variabilität in die Population zu gewährleisten und die Nachhaltigkeit zu verbessern (genetische Rettung). Außerdem wurden einige bedrohte Arten bereits durch somatischen Zellkerntransfer geklont. Beide Ansätze erfordern gefrorene Zellen, wie wir sie im LIB herstellen. Allerdings sind diese beiden Technologien noch auf einige wenige Modellorganismen beschränkt und der Erfolg der assistierten Reproduktion ist noch begrenzt.
Was die Wiederbelebung einer bereits ausgestorbenen Art betrifft, hat die Wissenschaft noch einen weiten Weg vor sich, glaube ich. Aber mit der Entwicklung neuer Technologien könnte dies in der Zukunft möglich sein. Lagerstätten für körperbezogene und Geschlechtszellen werden jedoch unerlässlich sein.
Welche Bedeutung hat die Natur für Sie persönlich? Gibt es einen Lieblingsplatz in der Natur?
Für mich bedeutet Natur Leben. Da ich aus Brasiliens größter Stadt São Paulo komme, war es für mich immer sehr aufregend und eine große Freude, meinen Urlaub auf dem Land (in den Bergen) oder am Strand zu verbringen. Wenn ich einen Lieblingsort in der Natur wählen müsste, wäre es die Caatinga – eine für Brasilien charakteristische Naturlandschaft, die sich durch eine halbtrockene tropische Vegetation auszeichnet. Hier sind Fauna und Flora an ein halbtrockenes Klima angepasst. Wenn es in der Caatinga regnet, ist das der beste Geruch der Welt!
Krebse, Fische, Schmetterlinge. Wo liegt Ihre ganz persönliche Vorliebe und warum?
Ich glaube, es sind kleine Säugetiere. Sie sind seit vielen Jahren meine Studienobjekte. Aber seit ich beim LIB bin, finde ich auch Fische und Vögel sehr interessant!
Wie erklären Sie Kindern biologischen Vielfalt?
Es geht um die gesamte Veränderlichkeit und Unterschiedlichkeit auf unserem Planeten.
Was sollen die Menschen in zehn Jahren mit dem LIB assoziieren?
Ein Referenzzentrum für die Erforschung der biologischen Vielfalt: ein Ort, der unsere wertvollen biologischen Sammlungen, die Gewebesammlungen und Umwelt-DNA und die Lebendsammlung mit Zellen mit genetischen, molekularen und morphologischen Studien verbindet und so zum Erhalt und zur Information über die biologischen Vielfalt beiträgt.
Worin sehen Sie die größte Herausforderung im Bereich des Umweltschutzes?
Ich glaube, es geht darum, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie gemeinsam etwas bewirken können, wenn jeder ein bisschen was tut.
Welchen Rat würden Sie jungen Biologinnen und Biologen geben, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen?
Ich würde ihnen sagen, dass sie verschiedene Themen lesen und studieren sollen, nicht nur die, die sich auf das eigene Forschungsprojekt beschränken.
Welcher weitere Bereich im LIB liegt Ihnen besonders am Herzen?
Ich denke, die Ausstellung bringt alle Zentren des LIB zusammen und erklärt der Öffentlichkeit auf didaktische Weise die Bedeutung unserer Arbeit.
Dr. Camilla Bruno Di Nizo, Leiterin der Biobank (Zellkulturlabor)
Camilla Di Nizo studierte Biologie und erwarb einen M.Sc. in Biotechnologie in São Paulo, Brasilien. Währenddessen erweiterte sie an die Universität Cambridge, UK, ihr Wissen zu Zellkulturen und molekularen zytogenetischen Ansätzen. Sie promovierte in Genetik und Evolutionsbiologie an der Universität von Sao Paulo und beschäftigte sich mit der Entwicklung des Karyotyps und der Artbildung in phylogenetischem Kontext bei kleinen Säugetieren. Seit 2021 ist sie für die Kryokonservierung von Zellen verschiedener Arten in der Biobank des LIB zuständig.