Gesicht des LIB: Marie Herberstein

„Ich arbeite sehr, sehr gerne mit Menschen und mit Veränderung.“

Marie Herberstein hat im April die Leitung des Zentrums für Taxonomie und Morphologie im LIB übernommen. Copyright: Marie Herberstein

 

Marie Herberstein sucht die andere Perspektive, den frischen Blick auf feste Strukturen, das Kreative in der Veränderung. Die Spinnenforscherin beobachtete vom anderen Ende der Erde, was sich am LIB in Hamburg tut. Am 15. April hat die Australierin mit österreichischen Wurzeln die Leitung des Zentrums für Taxonomie und Morphologie (ztm) im LIB übernommen. In kürzester Zeit verschaffte sie sich in vielen Gesprächen einen Überblick, wo das Forschungsmuseum in seinem Veränderungsprozess von ihrer Erfahrung profitieren kann.

Was hat Sie zur Biologie geführt?

Ich wusste schon immer, dass ich etwas mit Biologie machen möchte, schon als junges Kind, als Schülerin, dann Studentin. Dass ich Biologie studieren würde, war ganz klar, aber ich wusste nicht, was ich dann damit mache. Doch dann hat ein Forschungsprojekt in meinem dritten Studienjahr meinen Weg bestimmt. Es ging darum, Spinnen zu untersuchen und zu schauen, was sie im Netz fangen und was um sie herumfliegt. Nach diesem Projekt hatte ich so viele Fragen. Damit war ganz klar, dass ich weiter forschen werde, einen Master machen möchte und danach eine Dissertation.

Was wären Sie geworden, wenn es mit der Biologie nicht funktioniert hätte?

Ich wäre Teetesterin geworden. Ich stelle mir das toll vor, auf einer Teeplantage zu leben und mich jeden Tag durch den Tee zu kosten.

Was treibt Sie als Forschende an?

Die Kreativität – und die Spinnen. Ich finde Forschung wahnsinnig kreativ. Die vielen Fragen, die es zu beantworten gibt, die Darstellung der Daten und Resultate in der Forschung. Die Beobachtungen setzen die Kreativität in Schwung und man stellt sich Fragen. Warum schaut das Ding jetzt so aus? Warum verhält es sich so? Und dann die Methodik, die ist ja auch maßlos kreativ.

Was bedeutet Natur für Sie persönlich, und gibt es für Sie einen Lieblingsort?

Ich betrachte gern Landschaften, auch wenn sie schon seit Tausenden von Jahren kulturell geprägt wurden, wie die Weingärten entlang der Donau oder Mosel, die ja schon von den Römern bearbeitet wurden. Natürlich mag ich auch unberührte Landschaft, aber Stadtnatur finde ich auch sehr interessant. Grundsätzlich bin ich gerne in den Bergen und am Wasser.

Was ist die größte Herausforderung auf dem Gebiet des Umweltschutzes für Sie?

Ich glaube, generell ist es diese Spannung zwischen einer Lebensqualität, die wir als Menschen wollen, und wie diese Lebensqualität andere Organismen beeinflusst. Da den richtigen Punkt zu finden, an dem wir sagen: Okay, ja, wir sind zufrieden, wir können so leben und gleichzeitig unseren Einfluss auf die Umwelt reduzieren – und sind uns einig darin. Und dann ist da die persönliche Entscheidung, die ich jeden Tag treffe. Wie viele Ressourcen verwende ich persönlich? Manche Sachen sind einfach. Ich habe kein Auto. Ich fahre mit dem Radl und mit dem Zug. Fliegen ist eine schwierige Entscheidung. Ich habe Familie in Australien. Ich mache auch Forschung in Australien. Ich versuche ein plastikfreies Leben zu führen. Und da ist es halt: Wie viel Aufwand möchte ich persönlich betreiben, dass ich die Dinge finde, die nicht in Plastik sind?

Wie stellen Sie sich das Miteinander der Zentren im LIB perspektivisch vor?

Mir ist besonders wichtig, dass man voneinander weiß. Denn ich glaube, wir können uns gegenseitig ganz toll unterstützen. Es macht mehr Sinn, dass Dinge zusammenkommen und dass wir dann gemeinsam an einem Projekt arbeiten.

Wofür steht das Zentrum für Taxonomie und Morphologie (ztm) für Sie?

Das ztm steht für mich für die Grundlagenforschung und es ist ein Zentrum, das die Sammlung umschließt – die historischen Sammlungen, die wir als Referenzen für die rezenten Sammlungen verwenden und die neuen, die auch durch die Monitorings hineinkommen.

Was sehen Sie in den Sammlungen?

Wir haben mit den Sammlungen der Museen genau das Zeitfenster der vergangenen 200 bis 300 Jahre, in dem der Mensch angefangen hat, einen wirklichen Einfluss auf die Natur zu nehmen. Wir können sagen, okay, vor 150 Jahren hat das aber so ausgeschaut und jetzt schaut es so aus, wie wird es in 150 Jahren ausschauen – was wir als Zeitfenster für Vorhersagen verwenden können.

Bislang wurde die Sammlung hauptsächlich von einer taxonomischen Perspektive bearbeitet. Doch ich glaube, dass es andere Dimensionen der Sammlung gibt, die wir auch im Zuge des Umzugs in das neue Museum einbeziehen können. Dass wir viele Individuen einer Art in einer Sammlung haben und uns ansehen können, wie unterschiedlich diese Individuen ausschauen, was die Variation ist. Dieser Aspekt der Sammlung ist noch nicht so stark erforscht worden.

Welche Chancen bietet der Umzug der Sammlungen in das neue Museum, das Evolutioneum?

Durch dieses neue Gebäude haben wir die Möglichkeit, uns zu überlegen, wie wir jetzt unsere Sammlung international präsentieren wollen, für welche Zwecke und warum wir welche Objekte digitalisieren wollen. Wer sind die Nutzer? Ich glaube, da öffnet sich gerade ein tolles Fenster für uns, wo wir wirklich kreativ sein können.

Durch das neue Gebäude können wir uns überlegen, wie die Sammlung der Zukunft ausschauen soll und wie wir sie öffnen wollen. Wir müssen alles anfassen für den Umzug und zum Beispiel eine Million Spinnen in fünf Jahren einpacken. Und wenn man dann Kreativität einbaut, in dieser Phase, und nicht einfach alles nur ein- und wieder auspackt, sondern überlegt, wie das aussehen soll, wie wir das gestalten wollen – dann wird das spannend. Meine Rolle ist, diese Kreativität über die reine Logistikleistung hinaus zu unterstützen und alle in diesem Prozess mitzunehmen. Unser Zentrum der Taxonomie und Morphologie hat ja sehr viele Änderungen hinter sich. Aber die Änderungen werden nicht aufhören, wir müssen sie akzeptieren und uns in diesem Prozess stärken.

Wie könnte eine kreative Weiterentwicklung der Sammlungen aussehen?

Ich kann mir eine virtuelle und auf dieser Ebene begehbare Sammlung vorstellen, die ästhetisch ist, etwas Spielerisches hat, in die man über eine Figur hineingehen kann, eine Schublade öffnet, einen Kasten zur Seite schiebt und viele Bilder von Käfern, Schmetterlingen, Vögeln und viel mehr zum Vorschein kommen.

Was ist für Sie das Wichtigste an der neuen Position? Was war der Antrieb, diese Stelle anzunehmen?

Zwei Dinge: Auf der einen Seite arbeite ich sehr, sehr gerne mit Menschen und ich arbeite gerne mit Veränderung. Ich freue mich auf die Möglichkeit, die Mitarbeitenden im Zusammenarbeiten zu stärken und das Positive herausarbeiten. Auf der anderen Seite bin ich auch sehr gerne in der Forschung. Ich bin Verhaltensökologin, hatte bislang wenig mit Sammlungen zu tun. In der nächsten Zeit möchte ich meine Forschung so wenden und drehen, dass ich an der Sammlung mehr teilhabe. Ich könnte Aspekte der Verhaltensforschung mit Morphologie verknüpfen und das Zeitfenster, das die Sammlungen eröffnen, auch nutzen, um zu verstehen, wie sich Ökosysteme verändern und was in der Zukunft passieren wird. Zu dieser Thematik reichen wir jetzt mit der Uni Hamburg einen Antrag ein.

Was sollen die Menschen in zehn Jahren mit dem LIB assoziieren?

Zugänglichkeit für jede und jeden. Das LIB ist eine Institution, eine Plattform, die für alle Menschen Informationen offen anbietet und zu der auch viele etwas beitragen können. Wir haben in unseren Sammlungen vieles, was in anderen Ländern zusammengetragen wurde. Wie können wir das auch virtuell zugänglich machen, sodass sich jeder und jede das von überall anschauen kann? Ich wünsche mir auch, dass wir das Museum als wissenschaftliche Institution in der Stadt etablieren, als einen Ort, an dem wir Wissenschaft feiern und uns mit kulturellen Events in der Stadt verknüpfen. Das Museum sollte Teil der Stadtkultur werden – wie jetzt schon bei der Langen Nacht der Museen.

 

Prof. Dr. Marie Herberstein wuchs in der österreichischen Steiermark auf, bevor sie als Schülerin mit ihren Eltern und drei Brüdern nach Australien auswanderte. Nach ihrem Studium der Biologie in Sydney kam sie für ihre Dissertation zu Baldachin-Spinnen zurück nach Österreich. Als Erwin-Schrödinger-Stipendiatin war sie zunächst in Melbourne an der Melbourne University und anschließend 23 Jahre an der Macquarie University in Sydney tätig, wo sie neben der Forschung und Lehre verschiedene Führungsaufgaben übernahm: als Abteilungsleiterin, Vorsitzende des Akademischen Senats, als Vizerektorin für das Akademische Amt und schließlich als Studiendekanin. Seit dem 15. April dieses Jahres leitet sie am LIB das Zentrum für Taxonomie und Morphologie.

 

 

 

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