Gesichter des LIB: Karina Lucas da Silva-Brandão

„Was an einem Punkt der Erde mit der Natur geschieht, wirkt sich auch anderswo auf das Leben der Menschen aus.“

 

Karina Lucas da Silva-Brandão (hier in Peru) konzentriert sich in ihrer Forschung auf die Interaktionen zwischen Wirtspflanze und Schmetterling. Copyright: Brandão


Die Suche nach dem „Warum“ hat Karina Lucas da Silva-Brandão in die Wissenschaft geführt. Die gebürtige Brasilianerin erforscht, warum und wie Schmetterlinge und Pflanzen interagieren und was die Evolution dieser Tierarten beeinflusst. Seit Anfang dieses Jahres ist Karina Lucas da Silva-Brandão Leiterin der Abteilung Lepidoptera & Trichoptera und Kuratorin der entsprechenden Sammlung.

Was treibt Sie als Forscherin an? Warum widmen Sie Ihr Leben der Natur?

Mich hat schon immer das „Warum“ interessiert und wie die Natur funktioniert: warum Menschen blaue oder braune Augen haben, warum es Insekten gibt und in so großer Zahl. Ich wollte schon immer Wissenschaftlerin werden, weil ich wissen wollte, wie Prozesse in der Natur ablaufen und warum sie sich verändert.

Was hat Sie zur Biologie geführt? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Als Schülerin bin ich mit meinem Vater zum Angeln gegangen. Schon damals hat mich die Vielfalt der Fische interessiert. Ich wollte auch wissen, warum manche Fische in manchen Flüssen vorkommen und in anderen nicht.

Was ist ein tägliches Highlight Ihrer Arbeit, was gefällt Ihnen am meisten?

Ich arbeite gern mit Menschen zusammen. Den theoretischen Diskurs über meine Arbeit liebe ich sehr.  Außerdem unterrichte ich sehr gerne und gebe mein Wissen weiter. Und ich berate gern.

Warum faszinieren Schmetterlinge Sie besonders?

Erst spät habe ich mich auf mein derzeitiges Forschungsgebiet, die Schmetterlinge, konzentriert. Zunächst hat mich die Wechselwirkung zwischen Pflanzen und dieser Insektenart interessiert: wie zum Beispiel Schmetterlinge die Chemikalien der Pflanzen, die sie fressen, gegen ihre Feinde einsetzen. Heute beschäftige ich mich mit Taxonomie mit einem Schwerpunkt auf Lepidoptera in Brasilien. In einem Netzwerk zusammen mit internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern möchte ich herausfinden, wie Schmetterlinge und Pflanzen interagieren und wo die Gründe für mögliche evolutionäre Veränderungen liegen.

Wo ist Ihr Lieblingsplatz in der Natur?

Ich liebe die Wälder der atlantischen Gebirgswälder in Brasilien – dort fällt die Temperatur in der Nacht stark ab, und ich kann die Schmetterlinge tagsüber fliegen sehen. Außerdem befindet sich ganz in der Nähe meines Hauses in Campinas, Sao Paulo, eines der größten städtischen Waldstücke Brasiliens – dort gehe ich normalerweise jeden Tag spazieren.

Wie erklären Sie Kindern den Begriff der biologischen Vielfalt?

Zunächst kann ich ihnen zeigen, wie schön, bunt und „anders“ die Natur (einschließlich der Schmetterlinge!) ist. Und erwähnen, dass in der Natur alles miteinander verbunden ist. Alles, was an einem Ort der Erde mit der Natur geschieht, wirkt sich auf das Leben der Menschen an einem anderen Ort aus – auch wirtschaftlich. Die im Amazonas-Regenwald produzierte Feuchtigkeit kommt als Niederschlag in ganz anderen Regionen Brasiliens an. Das heißt, wenn dieser Regen aufgrund von Abholzung ausbleibt, leidet ganz Brasilien, auch die Wirtschaft.

Was sollen die Menschen in zehn Jahren mit dem LIB assoziieren?

Ich würde mich freuen, wenn die Sammlungen dann bekannter wären. Das LIB sollte eine namhafte Institution für Biodiversitätsforschung sein, an die sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wenden, wenn sie taxonomisch arbeiten und mehr über die vielen Ebenen der Biodiversitätsforschung erfahren wollen.

Worin sehen Sie die größte Herausforderung im Bereich des Umweltschutzes?

Ich glaube, das ist, die Bevölkerung davon zu überzeugen, wie wichtig der Umweltschutz ist.

Was wären Sie geworden, wenn es mit der Biologie nicht geklappt hätte?

Wahrscheinlich hätte ich in einer Bank gearbeitet – viele meiner Verwandten haben dort gearbeitet. Aber das war eigentlich nie eine Option.

Welchen Rat haben Sie für junge Biologinnen und Biologen, die ihre Karriere beginnen?

Als Biologe muss ich heute viele andere Bereiche beherrschen, zum Beispiel die Computerprogrammierung. Insofern empfehle ich den Studierenden, sich damit auseinanderzusetzen und auch zu lernen, wie sie sich und ihr wissenschaftliches Gebiet in der Öffentlichkeit präsentieren können.

 

Karina L. Silva-Brandão wurde 1974 in São José do Rio Preto, São Paulo, Brasilien, geboren. Sie erwarb 1996 einen Abschluss in Biowissenschaften an der Universidade Estadual Paulista (IBILCE- UNESP), Brasilien, und 2000 einen M.Sc. in Ökologie an der Universidade Estadual de Campinas (UNICAMP). Während dieser Zeit untersuchte sie die Reaktion der Spinne Trichonephila clavipes auf verschiedene Arten von Pyrrolizidin-Alkaloiden, die in Schmetterlingen nach der Sequestration der Wirtspflanze gefunden werden, und widmete sich dem Bereich der chemischen Ökologie und der Interaktionen zwischen Wirtspflanze und Schmetterling. In ihrer Doktorarbeit in Ökologie (2001-2005), ebenfalls am UNICAMP und mit einem Aufenthalt an der Oregon State University in Corvallis, OR, USA, beschäftigte sie sich mit der Evolution der Wirtspflanzennutzung bei Troidini-Schmetterlingen.

Seitdem hat sie nach ihrer Elternzeit die molekulare Vielfalt von Schmetterlingen und Nachtfaltern, die von wirtschaftlichem Interesse sind, auf verschiedenen taxonomischen Ebenen untersucht. Erst vor kurzem kehrte sie zu den sekundären Pflanzenstoffen zurück und untersuchte Transkriptommuster in einem Forschungsverbund. Derzeit untersucht sie die adaptiven Reaktionen von Schmetterlingen und Motten auf ihre Wirtspflanzen und ihre Umwelt.

Verwandte Artikel

  • Gesichter des LIB, LIB

    Gesicht des LIB: Marie Herberstein

    Marie Herberstein sucht die andere Perspektive, den frischen Blick auf feste Strukturen, das Kreative in der Veränderung. Die Spinnenforscherin beobachtete vom anderen Ende der Erde, was sich am LIB in Hamburg tut. Am 15. April hat die Australierin mit österreichischen Wurzeln die Leitung des Zentrums für Taxonomie und Morphologie (ztm) im LIB übernommen.

    Mehr erfahren
  • Gesichter des LIB, LIB

    Gesicht des LIB: Peter Konstantinidis

    Vor wenigen Monaten stand Peter Konstantinidis noch häufig am US-amerikanischen Pazifik und hat Wale beobachtet. Seit Mitte Januar ist er als neuer Kurator der Ichthyologie am Museum der Natur Hamburg für die größte Fischsammlung Deutschlands verantwortlich.

    Mehr erfahren
  • Gesichter des LIB, LIB

    Gesicht des LIB: Camilla Bruno Di Nizo

    Für Camilla B. Di Nizo birgt die wissenschaftliche Arbeit jeden Tag neue Überraschungen. Als Leiterin des Labors für Zellkulturen in der Biobank des LIB hat sie lebensfähiges Material von mehr als 100 Arten konserviert.

    Mehr erfahren