Sehr schnell, aber doch kein Überschall

Studie zur Beweglichkeit von Langhalsdinosaurier-Schwänzen

© Zachi Evenor

 

Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung des Fachbereichs Biologie der Universität Hamburg hat mithilfe von Computermodellen und Methoden aus den Ingenieurwissenschaften die Beweglichkeit von Dinosaurierschwänzen analysiert. Laut einer in der Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlichten Studie stellten die Forschenden dabei fest, dass diese Schwänze zwar mehr als 100 Kilometer pro Stunde schnell bewegt werden konnten. Anders als bislang angenommen erreichten sie aber keine Überschallgeschwindigkeit.

Diplodociden waren große pflanzenfressende Dinosaurier mit langen Hälsen und langen Schwänzen. In einer früheren Studie wurde angenommen, dass sich eine hypothetische Struktur am Ende des Schwanzes eines Diplodociden, ähnlich wie das Ende einer Peitsche, schneller als die Schallgeschwindigkeit (340 Meter pro Sekunde) bewegen und einen Überschallknall erzeugen könnte.

 


Eine 3D-Animation der rekonstruierten Schwanzbewegungen. © Simone Conti

 

Um diese Hypothese zu überprüfen, simulierte das internationale Forschungsteam die Bewegungen des Schwanzes von Diplodociden anhand eines Modells, das auf fünf fossilen Diplodociden-Skeletten basierte. Das virtuelle Schwanzmodell ist über 12 Meter lang, würde in echt 1.446 Kilogramm wiegen und besteht aus 82 Zylindern, die Wirbel darstellen sollen und an einem unbeweglichen, virtuellen Becken befestigt sind.

„Die Forschung war eine ziemliche Herausforderung, denn wir mussten das Problem mit zwei Methoden angehen, die normalerweise in der Luft- und Raumfahrttechnik verwendet werden: die Mehrkörpersimulation und die Abschätzung der Belastbarkeit der Materialien“, berichtet der Erstautor der Studie, Simone Conti von der Universidade NOVA de Lisboa und dem Politecnico di Milano.

Die Forschenden testeten nun, ob ihr Modellschwanz der Belastung standhalten würde, sich schnell genug zu bewegen, um einen Überschallknall zu erzeugen. Dazu wurde die Schwanzbasis in einem Bogen bewegt, so dass eine peitschenartige Bewegung entstand. Dabei stellten sie fest, dass sich der dünne Schwanz nicht mit einer Höchstgeschwindigkeit von 340 Metern pro Sekunde bewegen konnte, ohne zu reißen.

Anschließend untersuchten sie drei verschiedene hypothetische Strukturen von einem Meter Länge, die am Ende des Modellschwanzes angebracht wurden und das Ende einer Peitsche nachahmen sollten. Die erste Struktur bestand aus drei Haut- und Keratin-Segmenten, die zweite aus geflochtenen Keratin-Fäden und die dritte aus Weichgewebe, dessen Form einem mittelalterlichen Werkzeug, dem Dreschflegel, nachempfunden war. Das Ergebnis: Keine der Strukturen war in der Lage, der Belastung einer Bewegung mit 340 Metern pro Sekunde standzuhalten. Damit zeigten beide unterschiedlichen Analysen, dass das Schwanzende von Diplodociden wohl nicht Überschallgeschwindigkeit erreichen konnte.

Die Simulationen legen nahe, dass die Schwänze der Diplodociden lediglich eine Höchstgeschwindigkeit von 33 Metern pro Sekunde (mehr als 100 Kilometer pro Stunde) erreichen konnten. Das ist zwar sehr schnell, aber mehr als zehnmal langsamer als die Schallgeschwindigkeit und damit zu langsam, um einen Überschallknall zu erzeugen, was im Widerspruch zu der früheren Studie steht.

„Obwohl die Schwänze der Diplodociden also nicht schnell genug bewegt werden konnten, um einen Überschallknall zu erzeugen, ist es doch wahrscheinlich, dass sie als Verteidigungswaffen oder im Kampf mit anderen Diplodociden eingesetzt werden konnten. Ob das jetzt in einem Revierkampf oder im Wettbewerb um Fortpflanzungspartner war, bleibt natürlich spekulativ“, sagt der Paläontologe Dr. Emanuel Tschopp, Alexander von Humboldt Forschungsstipendiat am Fachbereich Biologie der Universität Hamburg und Co-Autor der Studie.

Publikation
Multibody analysis and soft tissue strength refute supersonic dinosaur tail, S. Conti, E. Tschopp, O. Mateus, A. Zanoni, P. Masarati, and G. Sala, Scientific Reports, 12:19245 (2022). DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-022-21633-2

Kontakt
Dr. Emanuel Tschopp
Wiss. Mitarbeiter, Sektion Biodiversität der Tiere (Universität Hamburg)
Dinosaurierforschung
+49 40 42838-5621
Emanuel.Tschopp@uni-hamburg.de

Verwandte Artikel

  • Forschung, LIB, Pressemitteilung

    Das größte Genom aller Tiere entschlüsselt

    Dreißigmal so groß wie das des Menschen: Ein internationales Wissenschaftsteam um den Konstanzer Evolutionsbiologen Axel Meyer und den Würzburger Biochemiker Manfred Schartl, darunter Forschende des Leibniz-Instituts zur Analyse des Biodiversitätswandels (LIB), sequenzierte die größten Genome aller Tiere – die von Lungenfischen.

    Mehr erfahren
  • Forschung, LIB

    Erbgut von Sternalgen gibt Aufschluss über Ursprung der Pflanzen

    Wie schaffen es Landpflanzen, sich stetig an ihre wechselnden Umweltbedingungen anzupassen? Unter anderem mit dieser Frage beschäftigte sich ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von Dr. Iker Irisarri vom LIB. Sie erstellten im Rahmen ihrer Studie erste Genome von vier Sternalgen-Arten – den nächsten Verwandten der Landpflanzen.

    Mehr erfahren
  • Forschung, Pressemitteilung

    DiSSCo: Neue Infrastruktur für die Biodiversitätsforschung für Deutschland

    Es ist ein Zusammenschluss von insgesamt sechs der größten naturkundlichen Sammlungen, inklusive des LIB. Hinter dem Begriff DiSSCo verbirgt sich eine Europäische Forschungs-infrastruktur, die über 140 Millionen Sammlungsobjekte für die Wissenschaft digital vernetzt und frei zugänglich macht.

    Mehr erfahren