Gesichter des LIB: Benjamin Wipfler
„Ob es um die Darmmorphologie von Seeschnecken oder die Genitalien von Käfern geht – es ist die Vielfältigkeit der Fragestellungen, die die Arbeit im Morphologielabor ausmacht.“
© LIB, Niephaus
Obwohl er eigentlich Meeresbiologe werden wollte, ist er in seinem Traumberuf gelandet. Als Leiter des Morphologielabors in Bonn begleitet er vielfältige Projekte in der Planung und Auswertung. Methoden können für ihn eine wichtige Schnittstelle sein, um die verschiedenen Forschungsbereiche am LIB zu vernetzen. Den Ausgleich zur Arbeit findet er in seinem Garten.
Was hat Sie zur Biologie geführt? Gab es ein Schlüsselerlebnis?
Eigentlich wollte ich schon immer Biologe werden. Als ich ein Kind war, hatten alle anderen ein Panini-Album und haben Fußballer gesammelt. Ich dagegen habe die Tiersticker für das WWF-Album gesammelt – und hatte sie alle. Als mir noch zwei fehlten, habe ich mir in der Buchhandlung meiner Eltern die Kiste mit den Stickern geschnappt und so viele aufgerissen, bis ich sie endlich hatte. Aber der „klassische Sammler“, der schon als Kind Tiere sammelte, war ich nie.
Was wären Sie geworden, wenn es mit der Biologie nicht funktioniert hätte?
Ich habe mal überlegt, Informatik zu studieren. Heute bin ich froh, dass ich das nicht gemacht habe. Da ich nach dem Abi nicht sofort studieren wollte, ich nicht zur Bundeswehr musste, und ich aus einer Verlagsfamilie komme, habe ich zunächst eine Ausbildung zum Verlagskaufmann gemacht. Aber im Grunde gab es für mich nie eine wirkliche Alternative zur Biologie. Ich bin jetzt der Einzige in meiner Familie, der Verlagskaufmann gelernt hat, aber nicht im Verlag arbeitet.
Was hat Sie insbesondere an der morphologischen Forschung fasziniert?
Ursprünglich wollte ich Meeresbiologe werden. Als ich festgestellt habe, dass ich hochgradig seekrank werde, ist daraus leider nichts geworden. Zur Morphologie bin ich dann durch Zufall gekommen. Ich habe in Göttingen studiert und als studentische Hilfskraft in der Arbeitsgruppe gearbeitet, die die allerersten computertomographischen (CT) Scans von Insekten angefertigt hat. Die Tiere aufzuschneiden und in Kombination mit modernen Methoden in sie reinzuschauen hat mich fasziniert, sodass ich bei der Morphologie geblieben bin.
Was macht die Arbeit im Morphologielabor aus?
Wir sind methodisch organisiert und arbeiten nicht organismenspezifisch: Wenn Forschende Interesse haben, einen Organismus morphologisch zu untersuchen, können sie zu uns kommen, und wir bieten dabei unsere Unterstützung an: Welche Geräte werden gebraucht? Haben wir diese und wie werden sie bedient? Wie werden die Daten ausgewertet? Ich habe dadurch die Möglichkeit, an der Planung und Auswertung, die für mich spannendsten Teile von Projekten, mitzuarbeiten und mitzudenken. Ob es um die Darmmorphologie von Seeschnecken oder die Genitalien von Käfern geht – es ist die Vielfältigkeit der Fragestellungen, die die Arbeit im Morphologielabor ausmacht. Für mich ist das mein absoluter Traumjob.
Welcher Aspekt Ihres Berufs ist für Sie ein Highlight?
Dass ich mit vielen verschiedenen Menschen zusammenarbeite. Ich glaube, ich habe mittlerweile mit allen in der organismischen Biologie arbeitenden Kolleginnen und Kollegen am Zentrum für Taxonomie und Morphologie kooperiert. Ein weiteres Highlight ist, dass ich mich konstant mit neuen Themen auseinandersetze und nicht stehen bleibe.
Haben Sie einen Traum, was Ihre Arbeit in fünf oder zehn Jahren bewirkt haben könnte?
Ich sehe großes Potenzial in der Symbiose aus Hamburg und Bonn. Für die Morphologielabore an den beiden Standorten haben wir beschlossen, dass wir eine Einheit sind – ein Zahnrad im Getriebe des LIB. Intern ist unser Ziel, als zentrale Einrichtung am Institut einen Beitrag zum Vernetzen von Sektionen, Abteilungen, Zentren und Standorten zu leisten. Methoden können eine wichtige Schnittstelle sein und bieten die große Chance, verschiedene Bereiche zusammenzubringen.
Ein übergeordnetes Ziel ist es, die Sichtbarkeit der morphologischen Forschung zu erhöhen. Als ich damit angefangen habe, war die Morphologie quasi abgeschrieben und die Molekularbiologie auf ihrem Höhepunkt. Die morphologischen Methoden galten als altbacken, weil sie wie vor hundert Jahren angewendet wurden. Zu uns wurde gesagt „Das macht ihr noch?“. In den letzten Jahren wurde methodisch jedoch unglaublich aufgerüstet und modernisiert. Das macht die Morphologie auch nach außen hin attraktiv. Bei Führungen stelle ich immer wieder fest, dass die Leute sehr interessiert sind und es spannend finden, wie man in Tiere reinschauen kann.
Gibt es einen Lieblingsort in der Natur?
Mein Garten! Ich bin begeisterter Gärtner. Der Garten ist mein Ausgleich. Und der Wald am idyllischen Katzenlochbach in Röttgen in direkter Nachbarschaft zu unserem Haus. Dort ist es wunderschön und ich bin gerne da.
Krebse, Fische, Schmetterlinge: Welche Tierart hat ihre ganz persönliche Zuneigung und wieso?
Da muss ich beruflich und privat unterscheiden. Beruflich die polyneopteren Insekten: Dazu zählen unter anderem Heuschrecken, Schaben oder Ohrenkneifer. Privat sind Katzen meine Lieblingstiere. Ich mag aber auch Faultiere sehr gerne, weil sie niedlich und einfach anders sind: sie hängen die meiste Zeit falsch herum am Baum, ihr Fellstrich verläuft anders, und sie setzen nicht auf Geschwindigkeit – ganz im Gegenteil.
Was ist für Sie derzeit die größte Herausforderung auf dem Gebiet des Umweltschutzes?
Die Wahrnehmung des Artensterbens, auch hier direkt bei uns. Häufig denkt man beim Artensterben – und da schließe ich mich ein – an den abgeholzten Regenwald in den Tropen und nicht an die Felder vor unserer Haustür, die gespritzt werden. Obwohl im Umweltschutz in den letzten Jahrzehnten einiges erreicht wurde, haben wir dennoch enorme Artenverluste.
Was sollen die Menschen in zehn Jahren mit dem LIB assoziieren?
Biodiversitätswandel: Wir als LIB müssen verständlich machen, was Biodiversitätswandel bedeutet, dass er nicht nur ein Thema für die Wissenschaft ist, sondern massive Konsequenzen für uns alle haben wird. Im Vergleich zum Klimawandel ist die Problematik des Biodiversitätswandels vielen Menschen gar nicht bewusst.
Mehr Informationen zum Morphologielabor in Bonn und dem gesamten Team mit Benjamin Wipfler, Juliane Vehof, Mariam Gabelaia, Tim Dannenfeld und Franziska Schmickler finden Sie hier: https://bonn.leibniz-lib.de/de/morphologielabor#info
Dr. Benjamin Wipfler studierte Biologie in Göttingen und schrieb seine Diplomarbeit über die Kopfmorphologie von Gottesanbeterinnen. Für die Doktorarbeit über die Kopfstrukturen der polyneopteren Insekten wechselte er an die Friedrich-Schiller-Universität Jena zu Prof. Beutel. Seit 2018 arbeitet er am Museum Koenig und lebt er mit seiner Familie in Bonn.