Berliner Erklärung: Für die Zukunft der Menschheit

„Naturbasierte Lösungen“   © Senckenberg

 

Dreißig Jahre nach dem ersten Weltnaturgipfel in Rio de Janeiro sind der Verlust der Artenvielfalt und der globale Klimawandel die größten und drängendsten Herausforderungen der Zukunft. Nichts weniger als unsere eigene Existenz steht auf dem Spiel. Unter der Federführung der drei Leibniz-Naturforschungsmuseen ruft ein breites Bündnis renommierter Forschender in ihrer „Berliner Erklärung“ Deutschland dazu auf, der besonderen Verantwortung der G7-Präsidentschaft bei der Bekämpfung dieser „Zwillingskrise“ gerecht zu werden. Der derzeit für Ende August geplante Weltnaturgipfel böte die historische Gelegenheit einer dringend notwendigen Trendumkehr zugunsten von mehr Klima- und Biodiversitätsschutz. In ihrem Positionspapier präsentieren die Forschenden konkrete Handlungsempfehlungen mit „naturbasierten Lösungen“ als einem wesentlichen Schlüssel zum Erfolg.

Seit dem 16. Jahrhundert sind mindestens 680 Wirbeltierarten ausgestorben. Prognosen zufolge könnten wir weltweit innerhalb der nächsten Jahrzehnte 40 Prozent aller Insekten verlieren. 75 Prozent der natürlichen Landökosysteme und etwa 66 Prozent der Meeresökosysteme sind bereits erheblich beeinträchtigt oder gar zerstört worden – rund 3,2 Milliarden Menschen sind hiervon heute schon betroffen. „Gelingt es uns in dieser Dekade nicht, den katastrophalen Verlust der Biologischen Vielfalt aufzuhalten, laufen wir Gefahr, bis zu einer Million Arten zu verlieren und 80 Prozent der Nachhaltigkeitsziele sowie zentrale Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht zu erreichen!“, warnt Prof. Dr. Johannes Vogel, Generaldirektor am Museum für Naturkunde Berlin und fährt fort: „Der ungebremste Verlust der Biodiversität und die zunehmende Erderwärmung sind die Herausforderungen für die Zukunft unserer Gesellschaft.“

In der heute unter der Federführung der Direktoren der drei Leibniz-Naturforschungsmuseen veröffentlichten zweiseitigen „Berliner Erklärung“ fordert ein breites Bündnis von Forschenden Deutschland zu energischeren Anstrengungen für ein Gelingen des Weltnaturgipfels auf. Mit der derzeitigen G7-Präsidentschaft trage Deutschland eine besondere Verantwortung, habe aber gleichzeitig erhebliches Potenzial, jetzt entscheidende Beiträge zur Bewältigung der „Zwillingskrise“ zu leisten. Um der Führungsrolle gerecht zu werden, schlagen die Forschenden in der „Berliner Erklärung“ eine Reihe konkreter Maßnahmen vor – allen voran „naturbasierte Lösungen“. Unter diesen versteht man Maßnahmen zum Schutz, zur nachhaltigen Bewirtschaftung und Wiederherstellung natürlicher oder veränderter Ökosysteme, die gleichzeitig dem menschlichen Wohlergehen und der Artenvielfalt zugutekommen. So soll sich Deutschland beispielsweise beim Weltnaturgipfel Ende August mit Nachdruck dafür einsetzen, dass bis 2030 global 30 Prozent der Land- und Meeresflächen wirksam geschützt und weitere 20 Prozent renaturiert werden. Eine klare Priorisierung des nachhaltigen Schutzes der arten- und kohlenstoffreichsten Gebiete der Erde sei dabei essenziell.

Zudem müsse deutlich mehr Geld in den Biodiversitätsschutz investiert werden: Um der Verantwortung gegenüber dem globalen Süden gerecht zu werden, sollte Deutschland unter anderem die bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte „erhebliche“ Erhöhung von derzeit etwa 800 Millionen Euro auf vorerst mindestens zwei Milliarden Euro jährlich erhöhen. Mittelfristig seien acht Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Der 2021 von Deutschland ins Leben gerufene internationale „Legacy Landscape Fund“ sei ein sehr mächtiges Instrument zum nachhaltigen Schutz der arten- und kohlenstoffreichsten Gebiete der Erde, so die Unterzeichnenden: Eine Milliarde Euro an zusätzlichen privaten Mitteln könnten global mobilisiert werden, wenn zwei Milliarden Euro öffentliche Gelder investiert würden. Statt bisher sieben könnten so global bis zu 100 Großschutzgebiete dauerhaft für zukünftige Generationen gesichert werden. Laut der „Berliner Erklärung“ können die knapp 67 Milliarden Euro an jährlichen umweltschädlichen Subventionen in Deutschland, von denen rund 90 Prozent als klimaschädlich eingestuft sind, für die Finanzierung solcher Maßnahmen genutzt werden. Diese öffentlichen Mittel sollten so eingesetzt werden, dass sie positiv sowohl auf den Erhalt der Natur als auch auf den Klimaschutz wirken.

Prof. Dr. Bernhard Misof, Direktor am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels: „Wir können die ‚Zwillingskrise‘ nur gemeinsam und mit der Natur bewältigen. Es gilt Synergien zu nutzen. Negative Auswirkungen auf die jeweils andere Krise müssen explizit vermieden werden. Führende Forschende sowie Ökonominnen und Ökonomen sehen ‚naturbasierte Lösungen‘ als eine wirtschaftlich effiziente Möglichkeit an, um die Erhaltung von Ökosystemen und Renaturierungen voranzutreiben. Hierdurch wird die für uns Menschen wertvolle Biodiversität geschützt und gleichzeitig wird die globale Erwärmung nachhaltig eingedämmt. Investitionen in ‚naturbasierten Lösungen‘ generieren Vorteile mit hohem Nutzen in monetärer und nicht monetärer Hinsicht. Allein durch den Schutz von Mangrovenwäldern können jährlich 80 Milliarden US-Dollar an Schäden vermieden werden und damit gleichzeitig 18 Millionen Menschen geschützt werden.“

Der Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Initiator der „Berliner Erklärung“ Prof. Dr. Klement Tockner fasst zusammen: „Wir benötigen klare Prioritäten beim Schutz und beim aktiven Management der Natur. Die wissenschaftlichen Fakten liegen auf dem Tisch – und sind überzeugend! Wir verlieren mit der biologischen Vielfalt die ‚Bibliotheken der Natur‘ in einer ungeahnten Geschwindigkeit – um das mehr als 100-fache im Vergleich zum natürlichen Verlust. Es mangelt jedoch noch immer an Problembewusstsein, Mut zum Handeln und an einer entschlossenen, wirksamen Umsetzung durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Nur mit einer grundlegenden gesellschaftlichen Transformation im Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen können die notwendigen Ziele im Klima- und Biodiversitätsschutz erreicht werden. Wir sind es unseren Kindern, Enkelkindern und den späteren Generationen schuldig!“

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Das Museum für Naturkunde Berlin (MfN) ist ein integriertes und Forschungsmuseum der Leibniz-Gemeinschaft mit internationaler Ausstrahlung und global vernetzter Forschungsinfrastruktur. Als innovatives Kommunikationszentrum will es den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Dialog um die Zukunft unserer Erde mitprägen und die demokratische Wissensgesellschaft entwickeln. Teams aus unterschiedlichen Disziplinen erforschen die über 30 Millionen Sammlungsobjekten zur Entwicklung der Erde und des Lebens. Die Themen reichen von der Entwicklung des Sonnensystems über die Mechanismen der Evolution bis zur Vielfalt des Lebens auf der Erde. Darüber hinaus wird die wissenschaftshistorische, kulturelle und künstlerische Bedeutung der Objekte erforscht und reflektiert. Das Museum für Naturkunde Berlin wird konsequent in den kommenden zehn Jahren den Zukunftsplan umsetzen, der mit insgesamt 660 Millionen Euro vom Bund und Land Berlin gefördert wird. Ziel des Zukunftsplans ist, den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu intensivieren, um wissenschaftsbasierte Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft zu finden.

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist eine Einrichtung der Leibniz-Gemeinschaft und erforscht seit über 200 Jahren weltweit das „System Erde“ – in der Vergangenheit, der Gegenwart und mit Prognosen für die Zukunft. Wir betreiben integrative „Geobiodiversitätsforschung“ mit dem Ziel die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen zu erhalten und nachhaltig zu nutzen. Zudem vermittelt Senckenberg Forschungsergebnisse auf vielfältige Art und Weise, vor allem in den drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden. Die Senckenberg Naturmuseen sind Orte des Lernens und Staunens und sie dienen als offene Plattformen dem demokratischen Dialog – inklusiv, partizipativ und international. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt ist Teil des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseum Frankfurt, eines der sieben Institute der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung.

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