Gesichter des LIB: Alexander Haas

„Das Gefühl glücklicher Zufriedenheit ist bei mir oft mit Erlebnissen in der Natur verknüpft.“

© Stefan Hertwig

 

Als Leiter des Zentrums für Taxonomie und Morphologie spannt er eine wissenschaftliche Brücke zwischen Bonn und Hamburg. Prof. Dr. Alexander Haas gestaltet vom Standort Hamburg aus als Sektionsleiter der Herpetologie sowie Leiter der Wissenschaftlichen Infrastruktur die Zukunft der LIB-Forschung maßgeblich mit. Während er sich beruflich am liebsten mit Amphibien und Reptilien beschäftigt, prägen ihn privat vor allem ein fitter Geist, eine gesunde nachhaltige Ernährung sowie ein sportlicher Lebensstil.

Alexander Haas stellt sich unseren Fragen in der neuen Ausgabe unserer Reihe „Gesichter des LIB“. Angefangen mit Generaldirektor Prof. Dr. Bernhard Misof kommt jeden Monat eine Persönlichkeit zu Wort, die an den Standorten Bonn und Hamburg ihren ganz individuellen Beitrag dazu leistet, das LIB zum Erfolg zu führen.

 

Was verbindet Sie mit der Natur?

Natur bedeutet mir sehr viel. Bereits als 16-Jähriger hatte ich mit meinem damaligen Kumpel ein Grundstück gepachtet und mich als „Naturgärtner“ versucht. Ich denke, dass die Lebensumwelt, die wir uns mit Gebäuden und Straßen geschaffen haben, unsere biologischen Möglichkeiten überfordert. In die Natur zu gehen kann hier Ausgleich und Entspannung bringen. Das Gefühl glücklicher Zufriedenheit ist bei mir oft mit Erlebnissen in der Natur verknüpft. Lieblingsorte sind die Wüsten im Südwesten der USA und die alten Regenwälder der Insel Borneo. Weitab der Zivilisation im schweißtreibenden Regenwald durch einen kühlen Fluss oder Bachlauf zu schreiten und dabei kleine biologische Entdeckungen zu machen, ist für mich eine Naturnähe hoher Intensität. Geradezu eine kleine und doch berührende Annäherung an unsere biologischen Wurzeln als Jäger und Sammler. Ich hoffe, dass möglichst viele Menschen noch weiterhin die Möglichkeit haben, die Natur in ihrer Intensität zu erleben – ob bei uns vor der Haustür oder an fernen Orten.

Welcher Teilbereich am LIB liegt Ihnen persönlich besonders am Herzen?

Das sind sicher die Bereiche Forschung und Sammlungen. Da wollte ich immer hin, da fühle ich mich am richtigen Platz. Meine Sprache wird dort auch von anderen gesprochen und verstanden. Die Kolleginnen und Kollegen dort sind kreativ, produktiv, motiviert und motivierend – wirklich klasse!

Was sollen Menschen in zehn Jahren mit dem LIB assoziieren?

Sie werden das LIB hoffentlich als einen Ort authentischer Information zu Arten, Artengemeinschaften, Lebensräumen und dem Wandel von Biodiversität kennenlernen. Wir generieren und interpretieren am LIB große Mengen von Originaldaten und halten mit unseren Sammlungen enorme zukünftige Datenmengen vor, die durch Erforschung der Sammlungsobjekte erschlossen werden können. Einer unserer Aufträge ist es dann, dieses authentische Wissen auch in die Gesellschaft zu bringen. Es wird hoffentlich erkennbar werden, dass das LIB ein wichtiger nationaler und internationaler Knotenpunkt im Netzwerk vieler anderer Institutionen ist, die kooperieren und sich im weitesten Sinne mit der Beziehung Mensch und Natur beschäftigen.

Welcher Aspekt Ihres Berufsalltags ist Ihr Highlight?

Das Erscheinen von Publikationen ist für jeden Wissenschaftler ein Highlight, auch wenn man das nicht im wörtlichen Sinn als alltäglich bezeichnen kann. Oft stecken sehr viel Arbeit und eine wechselvolle Geschichte hinter einer wissenschaftlichen Publikation. Ihr Erscheinen schließt oft eine Fragestellung ab und eröffnet manchmal direkt neue. Eine Publikation ist konkret, greifbar und gibt das befriedigende Gefühl etwas erfolgreich bearbeitet und abgeschlossen zu haben. Großartige Erlebnisse sind natürlich alle Formen der Expedition. Im Lebensraum Untersuchungen durchzuführen ist eine besondere Herausforderung, die durch die vielen Eindrücke lange im Gedächtnis bleibt. Mir gaben meine Reisen nach Malaysia und Indonesien auch die Möglichkeit, die Kulturen dort kennenzulernen: Sowohl bei der gemeinsamen Arbeit an einem Projekt als auch darüber hinaus. Das empfinde ich als großes Privileg und große Bereicherung.

Wie erklären Sie den Begriff „Biodiversität“, sodass ihn auch Kinder oder Personen außerhalb der Forschung verstehen?

Von uns wird erwartet, dass wir Wissenschaft verständlich erklären – egal ob für Kinder oder ihre Großeltern. Biodiversität bezieht sich auf ein bestimmtes Gebiet in der Natur: „Welche und wie viele unterschiedliche Lebewesen leben in diesem Gebiet?“ ist die Frage, die Biodiversität beantwortet. Ist sie innerhalb eines üppig bewachsenen Waldes zum Beispiel hoch, kommen dort mehr unterschiedliche Lebewesen vor als in einem trostlosen Stadtpark, in dem die Lebensumstände für Tiere und Pflanzen schlechter sind.

Was ist für Sie die größte Herausforderung im Umweltschutz?

Die Zerstörung der Lebensräume und der Klimawandel. Wenn der heutige biologische Reichtum der Erde annähernd erhalten werden soll, muss hier Gewaltiges unternommen werden. Leider wurde ich in meiner Lebenszeit Zeuge von vielen negativen Veränderungen unserer Welt: Sei es die Flurbereinigung in der landwirtschaftlich geprägten Gegend meiner Kindheit, die Versiegelung und Zersiedelung der Naturräume, die Ausbreitung der Wüsten oder das Abholzen des Regenwaldes, das ich in Asien sehen konnte. Die Liste ließe sich lange fortführen…

Was wären Sie geworden, wenn es mit der Biologie nicht funktioniert hätte?

Eine selten gewürdigte Revolution in der Menschheitsentwicklung stellen meiner Meinung nach 3D-Programme dar. Erstaunlich, was Generationen von Programmiererinnen und Programmierern da geschaffen haben. CAD-Software hat alle Herstellungsprozesse der Industrie revolutioniert. Riesige Industriezweige wie Gaming und Film sind ohne 3D-Software nicht mehr denkbar. Das finde ich äußerst faszinierend! Ich kann mir vorstellen, dass es im Bereich 3D interessante Berufsfelder für junge Menschen gibt, die mir vielleicht auch gefallen hätten.

Was raten Sie jungen Biologinnen und Biologen am Beginn ihrer Berufslaufbahn?

Den eigenen Leidenschaften, Fragen und Interessen konsequent und nachdrücklich zu folgen. Sich nicht abbringen zu lassen. Viel Energie sind wir nur bereit in Themen zu stecken, die uns wirklich interessieren und deren Verfolgung stark eigenmotiviert sind. Diese Themen und Ziele zu finden, ist wichtig für späteren Erfolg. Als ich angefangen habe zu studieren, gab es gerade eine Biologenschwemme und man versuchte uns einzureden, dass Biologie eine brotlose Kunst ist. Letztendlich kann man aber zu keiner Zeit generelle Aussagen machen, weil der berufliche Weg für jeden höchst individuell ist. Auf diese Reise – dieses Experiment – müssen sich Studierende einlassen.

Über Prof. Dr. Alexander Haas
Seit dem 1. Juli 2021 ist er Leiter des LIB-Zentrums für Taxonomie und Morphologie. Geboren 1964 in Heilbronn, studierte Alexander Haas an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Während des Studiums absolvierte er ein Auslandsjahr an der Universität von Kalifornien Berkeley. Zurück in Tübingen schloss er das Studium 1993 ab, seine Promotion erfolgte 1995. Noch vor Abschluss des Promotionsverfahrens wurde er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Spezielle Zoologie in an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, wo er 2001 habilitierte. Er folgte 2003 einem Ruf auf die Professor für „Zoologie/Spezielle Zoologie der Tetrapoda“ an die Universität Hamburg. In der Fachwelt ist er durch seine morphologischen und phylogenetischen Untersuchungen an Amphibien sowie Arbeiten zu Fröschen und Kaulquappen in Malaysia und Indonesien bekannt.

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